Abenteurer sucht Frau fürs Leben
konnte er an nichts anderes als an Lili denken.
Er hatte nicht beabsichtigt, sie zu küssen und anzufassen, aber irgendwie war es über ihn gekommen, und sie war darauf eingegangen.
Innerhalb kurzer Zeit war sie zu seiner engsten Freundin geworden. Sie war die eine Person, mit der er immer zusammen sein wollte, mit der er lachen und der er sich anvertrauen wollte. Er hatte ihr Dinge aus seiner Vergangenheit erzählt, die selbst seine Familie erst erfahren würde, wenn sie sein Buch las.
Ich Idiot! Wie konnte das bloß passieren?
Die Antwort war einfach: Lilis bezauberndes Wesen machte sie unwiderstehlich. Sie war so wundervoll und leidenschaftlich, dass es ihm einfach richtig erschien, sich ihr zu nähern.
Doch sie war so viel mehr für ihn. Sie beflügelte seine Träume bei Tag und bei Nacht. Sie weckte Illusionen von einem Leben abseits vom Stress und von der seelischen Belastung seines Berufes – seine Arbeit diente dem einzigen Ziel, das Leben anderer Menschen positiv zu verändern. Nicht jedoch sein eigenes. Das war das Vermächtnis, das Ruth Taylor Hamilton ihm hinterlassen hatte und dem er gerecht werden musste. Doch nun gesellte sich etwas anderes zu dieser Bürde, und es war so kostbar, dass er kaum wagte, danach zu greifen – aus Angst, es könnte wie dünnes Kristallglas in seinen Händen zerbrechen. Es war das Glücksgefühl, das Ruth Taylor Hamiltons Tochter in ihm auslöste.
Ich sollte gleich zu Lili gehen, ihr vom Tod ihrer Mutter erzählen und die Konsequenzen daraus ziehen.
Doch vorher musste er seine Situation genauer analysieren, denn seine Gefühle waren völlig neu für ihn und Furcht einflößender als die höchsten Berggipfel, mit denen er es je aufgenommen hatte. Und doch wusste er, dass er sich dem Risiko stellen musste, weil sich ihm die Chance nie wieder bieten würde.
Sein Handy klingelte. Er klappte es auf. Der Anrufer war sein Halbbruder Alex, dem er erst ein einziges Mal im Leben begegnet war. „Hi, Alex. Danke, dass du zurückrufst. Also, schieß los. Wie geht es Mutter?“ Er griff zu einem Kugelschreiber. „Sie wird wirklich nächste Woche entlassen? Fantastisch … Ja, das wäre großartig … Am frühen Nachmittag passt es mir gut.“
Kyle notierte eine Adresse, legte den Stift nieder und rieb sich die Stirn mit Zeigefinger und Mittelfinger, während er lauschte. Dann erklärte er: „Natürlich nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihre Wünsche respektiere. Ich halte mich außer Sichtweite, bis du mir Bescheid gibst … Okay, bis dann. Danke für deine Hilfe, Kumpel.“
Mit einem tiefen Seufzer lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Seine Mutter erholte sich gut. Ein Grund mehr, dem Schicksal dankbar zu sein.
Er war völlig in Gedanken vertieft und merkte daher erst, dass jemand ins Zimmer gekommen war, als er angesprochen wurde.
„Hallo, Kyle. Wollen Sie einer alten Frau für ein paar Minuten Gesellschaft leisten?“, bat Emma, während sie zur Fensterbank ging. „Das würde mich sehr glücklich machen.“
Er richtete sich auf und zwinkerte ihr zu. „Zeigen Sie mir eine alte Dame, und ich beantworte Ihre Frage.“
Sie schüttelte sich förmlich vor Lachen, sank auf das Polster und drohte ihm mit einem Zeigefinger. „Lili hat mich gewarnt, junger Mann. Heben Sie sich Ihren Charme lieber für meine einzige Patentochter auf. Obwohl …“
„… obwohl?“
„Ich freue mich darüber, dass Sie zusammen an diesem Buch arbeiten.“ Emma nickte nachdrücklich. „Ruth war mir jahrelang eine sehr gute Freundin. Sie wäre stolz auf Lili, sehr stolz sogar. Sie beide arbeiten für eine gute Sache.“
„Also kennen Sie die Familien Taylor und Hamilton schon lange?“
„Ich bin in diesem Dorf geboren und habe mein ganzes Leben hier verbracht. Es gibt nicht viele Leute, die ich nicht auf die eine oder andere Weise kenne . Aber warum wollen Sie das wissen?“
„Na ja, ich habe Ruth sehr bewundert. Um ihrem Andenken gerecht zu werden, möchte ich mehr darüber erfahren, wie sie gelebt hat, bevor sie sich entschlossen hat, Pionierarbeit als Chirurgin zu leisten.“
Emma lehnte sich zurück und musterte ihn abschätzend. „Ich habe sie sehr gut gekannt. Sie war ein bisschen exzentrisch, aber sehr klug und engagiert. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, dass Ärzte wie sie nicht wegen der Bezahlung in Krisengebieten operiert haben.“
Kyle nickte. „Daran hat sich bis heute nichts geändert.“
Sie neigte den Kopf zur Seite und musterte ihn aus
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