Aber bitte mit Sake
irritiert, dann fällt mir auf, dass ich vergessen habe, die Toilettenschuhe wieder auszuziehen. Und das ist, zumindest dem Gesichtsausdruck des Vaters nach zu urteilen, ein Grund, mich für die nächsten Monate zur Strafe des Landes zu verweisen. Kimiko betrachtet mich amüsiert. Was habe ich mir da bloß eingebrockt mit dieser Europäerin , scheint sie zu denken.
»Ups!«, rutscht es mir heraus. Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um, laufe zurück zum Bad, ziehe mir die Schlappen von den Füßen und platziere sie ordentlich vor der Tür, bevor ich zurück an den Tisch trete. Ich blicke Kimiko entschuldigend an. »Das tut mir wirklich leid, bei uns ist das mit den Schuhen nicht üblich.«
»Kein Problem«, antwortet sie und winkt ab. »Ich kenne das, ich habe viele Freunde aus anderen Ländern. Nur für meine Eltern ist das ungewohnt. Aber mach dir nichts draus, sie werden darüber hinwegkommen.« Sie zwinkert mir zu. Ich bin froh, dass sie offenbar ziemlich locker mit meinen Patzern umgeht. Kimiko steht auf, geht in die Küche und kommt mit einer großen Platte zurück.
»Mein Vater ist Fischer. Damit bin ich aufgewachsen. Das ist Sashimi , roher Fisch. Er muss ganz frisch sein und schmeckt köstlich zusammen mit der Sojasauce.« Sie zeigt auf die Scheiben von frischem Thunfisch, Maguro , und Lachs, Sake , die sie auf gehobeltem Rettich angerichtet hat.
»Probier ruhig alle Sorten. Zwischendurch kannst du den Reis, den Gohan , essen, er neutralisiert den Geschmack, wenn du von einer Fischart zur anderen wechselst. Dann ist das Geschmackserlebnis umso größer.«
Der Lachs ist so zart, dass er auf der Zunge zergeht und ich lobe den Fisch in den höchsten Tönen.
»Ich liebe rohen Lachs. Davon könnte ich mich jeden Tag ernähren. Ganz ehrlich …«, wende ich mich an Kimikos Mutter. »… dieser köstliche frische Fisch, einfach paradiesisch!« Ich erwarte, dass sich Kimikos Mutter über mein Lob freut, aber ihre Reaktion ist eher zurückhaltend. Sie nickt nur und wechselt etwas unvermittelt das Thema.
»Mögen Sie Bier? Alle Deutschen mögen Bier«, übersetzt mir Kimiko ihre Frage.
»Ehrlich gesagt, trinke ich das nicht so gerne, aber die deutschen Männer lieben es natürlich«, entgegne ich freundlich. Kimiko übersetzt meine Antwort, worauf ihre Mutter mich anstrahlt, aber ihre merkwürdige Reaktion auf mein Kompliment zum Fisch lässt mich nicht los. Ich erkundige mich, ob ich etwas Falsches gesagt habe.
»Ah so so so so« , kommentiert Kimiko die Antwort ihrer Mutter. »Jetzt habe ich auch noch was gelernt«, setzt Kimiko zu einer Erklärung an. »Meine Mutter war etwas irritiert, weil du im Zusammenhang mit dem Essen über das Paradies gesprochen hast. Für sie ist das Paradies das Reich der Toten.« Ich schlucke. Kein Wunder, dass sie von meinem Lob nicht sonderlich begeistert war. Ich habe ihr quasi mitgeteilt, dass ihr Essen so schmeckt, als käme es direkt vom Friedhof. Mehrmals entschuldige ich mich und wechsle das Thema.
»Wo leben sie denn genau in Japan?«, frage ich Kimikos Vater.
»Wir kommen aus der Präfektur Miyagi. Vielleicht haben Sie in den Nachrichten davon gehört. Sie wurde durch den Tsunami ziemlich mitgenommen«, übersetzt mir Kimiko seine Antwort. »Aber unser Haus steht Gott sei Dank weit genug oben am Hang, sodass es nicht zerstört wurde. Mein Vater ist übrigens ein echter Held. Er hat sein Fischerboot gerettet. Als der Tsunami kam, ist er mit ihm aufs Meer hinausgefahren.«
»Was?«, frage ich erstaunt. Ich kann nicht glauben, dass jemand sich freiwillig ins Wasser begibt, wenn eine Riesenwelle auf ihn zurollt. »Ist das nicht sehr gefährlich?«
»Der Tsunami entfaltet seine volle Kraft erst an der Küste; draußen auf dem Wasser ist die Welle noch flach. Ich wusste, wenn ich das Boot im Hafen lasse, wird der Tsunami es zerstören. Das wollte ich auf keinen Fall«, erklärt Kimikos Vater.
»Und was ist dann passiert?«.
»Nach dem starken Erdbeben war mir klar, dass ein Tsunami folgen würde. Ich bin so schnell es ging in die Bucht gelaufen, habe mein Schiff losgemacht und bin hinausgefahren. Dann war sie da: eine gigantische Welle. Wie ein Monster hat sie sich bedrohlich vor mir aufgetürmt.«
Ich höre auf zu essen, stecke meine Stäbchen in den Reis und folge gebannt dem Bericht von Kimikos Vater.
»Um nicht hinausgeschleudert zu werden, habe ich mich vorsichtshalber mit einem Seil am Boot festgebunden. Und dann ging alles ganz schnell. Ich bin durch die
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