Aber dann kam der Sommer
unterhielt sich nur noch mit Frau Bogard. Sie schien ihm etwas zu erzählen, denn er lauschte gespannt. Plötzlich drehte er sich zu Tante Agnete um.
„Tante, hör mal zu! Du mußt unbedingt ein paar Tausend locker machen für ein neues Unternehmen!“
Sofort unterbrach Tante Agnete ihre Unterhaltung mit ihrer Schwägerin Hanna. „Um was handelt es sich denn, Ditlefmann?“
„Um eine Reitbahn, Tantchen. Unsere Stadt wird immer größer, und es gibt schon jetzt eine ganze Reihe von Leuten, die an der Gründung eines Reitklubs interessiert sind. Jetzt ergibt sich gerade die günstige Gelegenheit, daß wir den Bruder von Frau Bogard als Leiter und Reitlehrer bekommen könnten – den Leutnant, weißt du. Aber wir brauchen noch Geld, um eine Reithalle und Ställe zu bauen und um Pferde zu kaufen. – Sagen wir – zehntausend, Tantchen, ja? – Oder zwanzig?“
„Oh, Ditlef, Ditlef!“ rief die Tante und lächelte hingerissen. „Verlangst du auch noch, daß ich anfange zu reiten?“
„O nein, das kannst du dir schenken. Du darfst passives Mitglied werden. Du kannst ja Fräulein Unni reiten lassen. Nicht wahr, Fräulein Unni, wäre das nicht nett?“
Mein Herz machte einen Freudensprung. Reiten! Oh, das war schon immer mein Traum gewesen, mein sehnlichster, aber bisher unerfüllbarer Wunsch, wenn ich daheim in den vornehmen Villenvororten die eleganten Damen und Herren reiten sah. Und ich liebe Pferde so sehr. Als ich klein war, gab es für mich kein schöneres Vergnügen, als auf dem alten Gaul des Nachbarn sitzen zu dürfen. Und nun sollte ich richtig reiten lernen!
„Das müßte herrlich sein“, sagte ich, „immer schon habe ich mir gewünscht, reiten zu können.“
„Also abgemacht – hier wird geritten! Wir schreiten zum Einkauf von – nun, sagen wir zunächst – sechs Pferden plus einem Pony für Klein-Ditlef und Klein-Agnete. – Onkel Toralf, heraus mit dem Scheckbuch, wieviel zeichnest du?“
Ein Stimmengewirr erhob sich, dazwischen fröhliche Rufe und Gelächter. Große und immer größere Ziffern flogen durch die Luft. Tante Agnete beteiligte sich strahlend und voller Eifer. Auf ihren Wangen glühten rosige Flecke, sie war im Vergleich zum gestrigen Tag nicht wiederzuerkennen.
„Hören Sie, wir müssen schnellstens Ihren Herrn Bruder zu fassen bekommen“, wandte sich Direktor Lindeng an Frau Bogard. „Ist er noch in der Stadt?“
„Ja, aber er wird morgen für eine Woche verreisen.“
„Dann rufen Sie ihn, bitte, sofort an. Wir brauchen ohnehin noch jemanden zum Bridge, nicht wahr, Tante Agnete?“
„Ja, eine ausgezeichnete Idee, mein Junge, ganz ausgezeichnet! Bestellt einen Gruß von mir, ich hoffte, daß er käme.“
Ich sollte reiten! Du lieber Himmel, meine Freude war einfach nicht zu beschreiben!
„Na, Doktor – und mit wieviel beteiligen Sie sich?“ Onkel Toralf schlug dem Arzt so kräftig auf die Schulter, daß er richtig einknickte.
„Das bestimmt meine Frau“, sagte der Doktor mit seiner schleppenden Stimme und seinem unentwegten Lächeln, „denn sie soll ja reiten. Glauben Sie nicht auch, daß sie zu Pferd sehr gut aussehen wird?“ Er wandte sich zum Fenster um und blickte in den Garten hinaus. „Ein weißes Pferd soll sie haben, das ist meine einzige Bedingung“, fuhr er fort. Er schwieg eine Weile, dann schlenderte er hinüber in den großen Salon.
Und während im Wintergarten, wo wir Kaffee getrunken hatten, das Gesumm der Unterhaltung weiterging, hörte ich, daß nebenan auf dem Flügel ein paar Töne angeschlagen wurden. Ich schlich hinüber. Niemand bemerkte es. Im Wintergarten ging das Geplauder weiter. Im Halbdunkel am Flügel saß der wunderliche, schmächtige, kleine Doktor und ließ seine empfindsamen, weißen Finger über die Tasten spielen. Ein Akkord klang auf, dann mehrere – ohne Zusammenhang angeschlagen – einzelne Töne folgten…
Ich spitzte die Ohren. Etwas daran kam mir bekannt vor. – Ja, ganz recht! Jetzt vereinten sich die Töne zu einer Folge, die linke Hand fügte kraftvoll die Baßakkorde hinzu, die Musik schwoll an, immer mehr und mehr – und dann brauste mir eine Fuge von Johann Sebastian Bach entgegen, meisterhaft gespielt und so rein, so harmonisch und so logisch, wie nur Bachs Musik ist.
Ich schwieg und lauschte. Die Stimmen nebenan störten mich nicht mehr. Ich hörte sie einfach nicht.
Als die Fuge beendet war, blieb der Doktor still und zusammengesunken vor dem Flügel sitzen. Mir schien es nicht richtig zu sein,
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