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Aber dann kam der Sommer

Aber dann kam der Sommer

Titel: Aber dann kam der Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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gern tun.
    Du sagst, daß sie ihre Zärtlichkeit und Fürsorge ausschließlich dem kleinen Hund zuwendet. Das, beweist eigentlich schon die Richtigkeit meiner Theorie. Sie braucht ein lebendes Wesen, das sie lieben kann. Und noch etwas kommt hinzu: Ich bin bei Deiner Mutter gewesen und habe sie ein bißchen ausgehorcht. Dabei habe ich in Erfahrung gebracht, daß Tante Agnete nicht immer besonders nett ihrem verstorbenen Mann gegenüber gewesen ist. Er aber soll sie mit Engelsgeduld auf Händen getragen haben, immer aufmerksam, fürsorglich, freundlich und entgegenkommend (es freut mich, daß Du mit ihm verwandt bist und nicht mit ihr!). Du mußt aber verstehen, wie sehr sie sich nun nach jemandem sehnt, der gut zu ihr ist, der sie umsorgt. Das geht ja schon aus der Bemerkung hervor, die sie Dir gegenüber gemacht hat: ,Du könntest auch ein wenig Interesse für meine Angelegenheiten aufbringen und nicht nur für deine eigenen…’ Natürlich war das Unsinn, eine solche Formulierung ist nur durch ihr unausgeglichenes Wesen erklärlich, und man muß schon im Besitz einer gehörigen Portion guten Willens sein, um auf den Grund zu sehen und Mitleid zu haben anstatt beleidigt zu sein.
    Du schreibst, daß das Stubenmädchen Louise Dich irritiere. Vielleicht irritiert sie Deine Tante ebenso. Man muß sich mal vorstellen, wie das ist, wenn man immerzu mit dieser unpersönlichen, korrekten Höflichkeit behandelt wird, einer Höflichkeit, die bezahlt wird. Deine Aufgabe ist es, ihr – wenn Du es kannst – Herzlichkeit zu geben. Sie ist nicht zu bezahlen, und gerade darum ist sie es, die Deine Tante nötig hat. Was mit Geld zu beschaffen ist, das hat sie. Du mußt ihr etwas geben, das nicht mit Geld zu vergüten ist. Ich bin mir völlig im klaren darüber, daß das Schwierigste für Dich der Anfang dazu sein wird. Du bist von vornherein in ein schiefes Verhältnis zu ihr gekommen, das ist schade. Aber ich glaube, die Sache ist noch zu retten.
    Liebe Unni, wirf Dein Herz voran und spring hinterher! Steh nun auf (ich weiß, daß Du meinen Brief im Bett liest), zieh ein recht hübsches Kleid an und gib Dir besonders viel Mühe mit Deiner Frisur. Sie hat es ja so gern, wenn Du nett aussiehst. Dann geh lächelnd zu ihr hinein, frage, wie es ihr geht, und wenn sie über Kopfschmerzen klagt, empfehle ihr ein paar Mittel dagegen (ich lege Dir einen Zettel mit den Namen einiger guter Medikamente bei) und erbiete Dich, sie ihr zu besorgen. Sei recht lieb zu Nipp und sprich zu ihm in Kindersprache, auch wenn Du Dir noch so idiotisch dabei vorkommst. Die Schoßhund-Frauchen sind stets begeistert, wenn man etwa so mit ihren Lieblingen redet: ,Ja, wo ist denn das liebe Hündchen? Ei, ei, nun komm doch mal! Sollst ein feines Samtkleidchen haben. Ja, da ist er ja, der flinke, kleine Nippemann…’ Du wirst sehen, das hilft!
    Und zuletzt: Wenn du das nächste Mal ein Problem zu lösen hast – ich meine jetzt ein wirkliches, kein erfundenes – , dann verzichte darauf, es Deiner Mutter oder mir zu schreiben, sondern geh damit zu Tante Agnete. So, damit wäre mein Vorrat an weisen Ratschlägen erschöpft, und ich bin ganz erledigt.
    Heute abend werde ich bei Euch sein. Wir beschäftigen uns mit ,Die Wildente’. Ich lese die Hedwig. Meine Eltern und Fritjof wollen heute mit dabeisein. Der Letztgenannte allerdings nur, wenn er sich von einem Wälzer über Ohren, Nasen und Hälse losreißen kann. Lust dazu haben sie alle drei, und wir brauchten eigentlich noch mehr, denn Dein Vater kann doch nicht ganz allein mit den Rollen des Hjalmar, des Kaufmanns Werle, des alten Ekdal und noch drei weiteren Figuren fertig werden. Tor liest den Gregers – vielleicht nicht immer so, wie ihn sich Ibsen vorgestellt hat, aber der Wille ist gut und das Interesse glühend. Deine Mutter fühlt sich wohl ein wenig fremd als Frau Sörby, aber Esther als Gina ist fabelhaft. Es macht sehr viel Spaß, mit ihr zusammen zu lesen.
    Nun ist mein Arm aber lahm! Alles Gute, liebes Mädchen! Laß Dich tausendmal grüßen und umarmen von
    Deiner Nora“
     
    Ich las den Brief dreimal. Dann stand ich auf. Ich war entschlossen, Noras Ratschläge Punkt für Punkt zu befolgen. Nora war ein prima Mädchen. Wenn ich sie nicht gehabt hätte!
    Ich sang im Bad – zum erstenmal, seit ich hierhergekommen war – , ich frottierte mich kräftig, ich machte Gymnastik am offenen Fenster, und meine toupierte Frisur gelang mir heute ungewöhnlich gut. Dann stand ich mitten im Zimmer und

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