Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
sehr traurig. Ich will meinen Jungen wiederhaben. Wir beide, Du und ich, wir kennen uns. Ich bin Marie, du weißt schon, die Frau, die auf dem Supermarktparkplatz ins Heck Eures Wagens gefahren ist. Du warst mit Deiner Mutter und Tom bei uns zu Besuch. Wir haben gegrillt, du hast mit unseren beiden Dackeln Ludwig und Erhard gespielt. Ich glaube, es hat Dir gut gefallen bei uns. Dann aber wollte Tom plötzlich aufbrechen – und Du warst sauer. Ich habe Dich gut verstanden.
Kevin, ich weiß nicht, was sie Dir erzählt haben, warum ihr so übereilt hier weggehen musstet. Es ist auf jeden Fall nicht die Wahrheit.
Kevin, bitte glaube mir, was ich jetzt schreibe: Du bist in Gefahr. Tom ist nicht der, für den Du ihn hältst. Er war es, der Johann entführt hat. Möglicherweise hat er ihn auch getötet. Er ist krank. Er wird auch Dir etwas antun. Deshalb musst Du heimlich mit Deiner Mutter reden. Tom darf nichts davon mitbekommen. Deine Mutter macht sich große Sorgen, aber sie hält zu Tom. Deinetwegen. Das ist ein Fehler. Sage ihr, dass ich mich gemeldet habe! Sage ihr auch, dass ich mir Sorgen um euch mache! Vor allem um Dich. Aber achte darauf, dass Tom von alldem nichts mitbekommt! Wenn er erfährt, dass wir beide Kontakt haben, wird er Dich und Deine Mutter zwingen, wieder mit ihm zu fliehen. Was glaubst Du, warum er das macht? Er hat Angst vor der Polizei.
Kevin, Du bist in Gefahr. Tom wird Dich töten – so wie er meinen Johann getötet hat.
Sag das Deiner Mutter! Es ist eure letzte Chance.
11
Marie fühlte sich erschöpft.
Sie ging ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett.
Sie überlegte, wie ihre Nachricht auf Kevin wirken würde. Doch sie verlor immer wieder den Faden. Sie stellte sich Kevin vor, wie er die Mail las. In seinem Zimmer in München. Dann verschwamm das Bild – und aus Kevin wurde Johann. Er saß in seinem Zimmer in Bubach und kauerte vor dem PC -Monitor.
Marie hob den rechten Arm, als wollte sie nach ihrem Jungen greifen. Doch sie ließ den Arm vor lauter Müdigkeit wieder sinken und schlief ein.
Ein Geräusch weckte sie. Sie konnte die Augen nicht öffnen. Sie musste weiterschlafen.
Dann hörte sie Robert durch den Flur gehen. Er öffnete die Küchentür. Sicher suchte er nach ihr. Sie wollte nach ihm rufen, aber es gelang ihr nur ein unverständliches Glucksen.
Robert streifte durchs Haus. Er schaute in Johanns Zimmer, betrat es aber nicht. Dann kam er bis zur ihrer Schlafzimmertür. Er horchte an der Tür.
Marie hielt den Atem an.
Robert ging wieder. Auf der Kellertreppe zog er seine Stiefel an. Mit schweren Schritten verließ er das Haus. Er wollte sicher in den Stall, um die Tiere zu versorgen. Das würde mindestens eine Stunde dauern.
Marie konnte endlich weiterschlafen.
Aber dann war ihr Geist plötzlich hellwach. Sie stand auf und ging in Johanns Zimmer. Der Computer lief noch. Sie setzte sich auf Johanns Stuhl und bewegte die Maus. Es dauerte, dann flackerte der Monitor. Der Bildschirmschoner verschwand.
Marie ging auf die Schüler-VZ -Seite und loggte sich ein.
Der Computer rief neue Mails ab. Maries Herz begann zu rasen. Ob Kevin geantwortet hatte?
Keine Nachricht von Kevin.
Marie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Wäre es nicht klüger gewesen, Fürbringer mitzuteilen, dass sie Kevin gefunden hatte? Dass sie wusste, auf welche Schule er ging.
Fürbringer hätte sicher alle Hebel in Bewegung gesetzt. Er hätte das Haus, in dem der Freund mit Lore und Kevin jetzt wohnte, von einem Sondereinsatzkommando stürmen lassen. Sie hätten den Freund nachts aus dem Bett geholt und ihn ins Gefängnis gesteckt.
Aber was wäre dann mit Johann passiert? Wenn er doch noch irgendwo in einem Gefängnis saß und der Freund ihn versorgte? Bisher hatten sie die Leiche nicht gefunden. Das hieß doch, dass er möglicherweise noch am Leben war. Dass es noch eine winzige Chance für Marie gab, ihr Kind lebend wiederzubekommen.
Auch wenn sie in den letzten zwölf Monaten schon so oft bereit gewesen war, sich der Gewissheit zu stellen, dass Johann tot war – jetzt gab es wieder eine kleine Hoffnung. Und solange diese Hoffnung bestand, sei sie auch noch so verschwindend, konnte Marie nicht so tun, als wäre Johann tot. Solange musste sie mit dem Freund verhandeln. Solange musste sie kämpfen.
Das verstand keiner. Weder Fürbringer noch Robert. Das musste sie ganz allein tun.
Maries Finger berührten die Tastatur. Vielleicht sollte sie noch eine Nachricht hinterherschicken.
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