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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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Gedanken zu erraten und sagte flüsternd, so als würde jemand an der Tür lauschen: »Also wenn du noch etwas Zeit brauchst, kein Problem. Aber das Gespräch hier behältst du für dich. Kann ich mich darauf verlassen? Du verstehst schon, dass das keiner im Dorf…«
    Er legte den Zeigefinger auf die gespitzten Lippen.
    Ich versicherte ihm, dass ich keinen Grund hätte, zu irgendjemandem im Dorf auch nur ein Wort zu sagen. Und dennoch wusste ich, dass Paul auch diesmal nicht dem hechelnden Klatsch und Spott entgehen würde. Aber vielleicht wäre das schon nach meiner Zeit.
XX.
    I nzwischen waren zehn Wochen vergangen und ich hatte noch nicht einmal eine kurze Nachricht vom Ministerium, die wenigstens den Eingang meines Briefes bestätigte. Auch der Verband stellte sich tot, obwohl der mit Sicherheit über meinen Entschluss, das Land verlassen zu wollen, informiert worden war.
    Ein paar Freunden hatte ich von dem Brief und dessen Inhalt erzählt. Erstaunt war niemand gewesen. Um das Haus auf dem Land sei es allerdings schade, meinten sie alle. Vor allem die, die mich dort besucht hatten. Im Dorf ahnte nach wie vor noch niemand etwas. Es war Herbst geworden und auf den Feldern wurde, wie jedes Jahr, die Ernteschlacht geschlagen. Ob gegen die nicht zu kontrollierende Natur oder den allgegenwärtigen Klassengegner gekämpft wurde, war nicht so recht auszumachen. Jedenfalls war der umfassende, gesellschaftliche Sieg – wie ebenfalls in jedem Jahr – mit großen Schlagzeilen in allen Medien gefeiert worden. Nur Paul war auf seiner Suche nach einer häuslichen Partnerin für den Winter noch nicht erfolgreich gewesen. Ich hatte ihm etwas halbherzig doch ein paar Formulierungen skizziert, und es ihm überlassen, etwas daraus zu machen. In der Stadt hatte ich Angélique getroffen, die durch den Buschfunk schon von meiner Absicht informiert worden war. »Jetzt musst du dich wahrscheinlich warm anziehen «, hatte sie nur gesagt. »Wenn du etwas brauchen solltest, weißt du ja, wo ich zu finden bin.«
    Auch das letzte Theater hatte mitten in der Probenarbeit die vertraglich vereinbarte Aufführung eines meiner Stücke abgesagt und sich – aufgrund meines Antrags auf Ausreise – sofort von mir distanziert, wie mir schriftlich mitgeteilt wurde. Eines war dadurch zumindest klar: Das Kulturministerium hatte meinen Brief zur Kenntnis genommen und bereits entsprechende Weisungen erteilt.
    Ich wusste, dass meine schriftlich bekundete Absicht, das Land zu verlassen, bereits mündlich die Runde gemacht hatte. Da ich aber an einer Märtyrerrolle nicht unbedingt interessiert war, versuchte ich weiterhin Normalität zu behaupten.
    Ich ging ins Theater oder auch zu Treffen mit Freunden, der eine oder andere kam auch in meine Plattenbauschachtel zu Besuch. Dennoch hatte ich unentwegt das Gefühl, Teil einer Inszenierung zu sein, bei der nicht ich die Regie führte. Und ich musste lernen, dass in unmittelbarer Nähe der Macht vormals beste Freunde nicht mehr wieder zu erkennen waren. Als ich dem massigen Georg Graf wenige Wochen nach meinem Klartextbrief auf dem Weg zum täglichen Einkauf begegnet war, hatte der mich zwar schon von weitem erkannt, aber anstelle der sonst üblichen theatralischen Begrüßung mit Umarmung hatte es eine abrupte Kehrtwendung und den hastigen Wechsel auf die andere Straßenseite gegeben.
    Stefan Schwenke hatte mich vor einem Theaterbesuch im Dunkel der Straße an der Spree angesprochen und gefragt, ob das Gerücht stimme, das er gehört habe. Als ich es ihm bestätigt hatte, war er ohne Umschweife auf sein Anliegen zugesteuert: Ich hätte doch so ein schönes Auto, ob ich ihm das nicht verkaufen könne, denn sicher würde ich unter diesen Umständen früher oder später Geld brauchen. Der Terminus unter diesen Umständen klang harmlos und ließ nicht erkennen, auf welcher Seite Schwenke stand. Ich hatte nur irritiert den Kopf geschüttelt, und Schwenke war mit dem lässigen Satz: »Wir sehen uns ja gleich im Theater«, die schlecht beleuchtete Straße an der Spree weiter entlang geeilt.
    Während der Pause der Aufführung hatte ich ihn wieder getroffen, und er hatte im Licht des Theaterfoyers durch mich hindurch gesehen, als würde ich nicht existieren.
    Als sich Erlebnisse dieser Art einige Male wiederholt hatten, war ich auf die Idee gekommen, aus diesem Kennt mich noch, Kennt mich nicht mehr ein Spiel zu machen. Ich wettete mit mir selbst, und ganz gleich, ob ich richtig oder falsch lag mit meiner

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