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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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verabschiedeten wir uns und Gisbert sagte, dass er sich schon auf den zweiten tollen Tag freue und hoffe, das Pulver der Büttenredner sei noch nicht völlig verschossen. Ich entschuldigte mich, am morgigen Tag nicht dabei sein zu können, was alle bedauerten. Ich war in mein Auto gestiegen und hatte nicht geahnt, was sich am nächsten Morgen in dem kleinen Ort abspielen sollte.
XXVI.
    S eit meinem Brief an das Ministerium für Kultur waren nun schon neun Monate vergangen und nach dem Gespräch in der Abteilung Theater, das wie das Hornberger Schießen ausgegangen war, hatte sich nichts Weiteres in der Sache ereignet. Jetzt aber hatte ich einen Termin in der zuständigen Behörde des Stadtbezirks erhalten. Als Grund war wieder die schwammige Bezeichnung Ihre Angelegenheit angegeben worden. Ich musste noch einmal an den ersten der drei tollen Tage und die Büttenreden von Kanzog und Schliemann denken, als ich am späten Morgen in Richtung Berlin fuhr. Da hatten zwei der gestanzten Sprache mit den vorsätzlichen Unschärfen eine Absage erteilt und Tacheles geredet. Das hätte ich mir in meiner Angelegenheit auch gewünscht.
    Ich klopfte an die angegebene Zimmertür des Amtes und wurde durch ein militärisches Herein! aufgefordert einzutreten.
    In dem muffig riechenden, halbdunklen Büro saß ein weißhaariger Mann, den ich auf Ende fünfzig schätzte. Über seiner Oberlippe hing ein trauriger grauer Schnauzbart. Nachdem ich den Raum betreten hatte, zögerte ich unwillkürlich. Der Ergraute blickte daraufhin überrascht auf und sah mich etwas irritiert an, weil ich ihn wie einen Geist anstarrte. Der sich da eine Zigarette anzündete und dabei kurz von einem typischen Raucherhusten geschüttelt wurde, sah aus wie Gottfried, oder auch sein Zwillingsbruder. Deshalb begann ich die Unterredung nach einem kurzen Zögern mit der etwas idiotischen Frage: »Verzeihen Sie, waren Sie früher einmal Maurer?«
    Der Doppelgänger schien erneut irritiert, dann erwiderte er kurz und ohne den geringsten Humor: »Das tut nichts zur Sache, es geht nicht um mich, sondern um Sie.« Dann bat er mich mit einer knappen Handbewegung, Platz zu nehmen. Vor ihm, auf dem fast leeren Schreibtisch, lag ein geöffneter Schnellhefter, offensichtlich meine Akte. Es folgten die üblichen Fragen, die ich schon vom Kulturministerium kannte, es war wie ein Spiel, dessen Regeln offensichtlich von zentraler Stelle vorgegeben worden waren. Ich erinnere mich nur noch an einen Punkt. Der in parteilichen Ehren ergraute Doppelgänger mit dem Auftrag, mich zur Umkehr zu bewegen, fragte gegen Ende des Gesprächs, ob ich nicht anders schreiben könne, denn sie brauchten solche Talente wie meines, und immerhin hätte der Staat doch einiges in meine Ausbildung investiert. Da war er wieder, der moralische Appell an meine Dankbarkeit. Aber Gottfrieds Ebenbild irrte sich: Die Frage des Gewissens war keine Einbahnstraße. Ich antwortete ihm nur mit einem kurzen Nein , und damit war unsere Unterredung beendet. Der graue Mann vom Amt zündete sich die dritte Zigarette in der Zeit unserer kurzen Unterredung an, notierte ein paar Sätze, schloss danach den Aktendeckel und während er schon hinter seinem Schreibtisch aufstand und mir die Hand gab, bemerkte er knapp: »Sie hören von uns.« Auf meine Frage, wann das denn sei, wiederholte er stereotyp: »Sie hören von uns«. Damit war ich entlassen.
    Ich fuhr danach noch kurz in meine kleine Wohnung, um nach der Post zu sehen. Im Briefkasten lagen zwei Stücktexte, die mir kommentarlos von Theatern zurückgeschickt worden waren. Als ich an der Wohnungstür ankam, bemerkte ich, dass jemand meine Klingel und mein Namensschild gewaltsam zerstört hatte und der halb verbrannte Name kaum noch zu lesen war. Jetzt wussten sie also auch hier, in dem Nobelneubau der Staatstreuen Bescheid, dass da einer die Gefolgschaft aufgekündigt hatte. Ich rief spontan Angélique an, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen. »Was beschwerst du dich«, war ihre lakonische Antwort, »wenn du in einem dieser Bonzenhäuser wohnst, musst du dich nicht wundern, wenn sie dir deutlich zeigen, dass du für sie zur Persona non grata geworden bist.« Sie hatte gut reden, sie wohnte im Dachgeschoss eines Altbaus, in einer Gegend, wo meine Funktionärsnachbarn höchstens dienstlich hinkamen.
    »Warum fährst du nicht auf dein Landgut, tausend Werst vom Zarenhof entfernt, wo sie den Herrscher nur dem Namen nach kennen.« Angélique hatte Recht, das Dorf würde mir nach

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