Abgehakt
die Unterlagen.
»Können Sie nicht aufpassen?«, fuhr Anne ihn wütend an. »Müssen Sie hier so herumschleichen? Fast hätten Sie mich verbrüht.« Sie besah sich ihren Blazer. »Sehen Sie sich die Schweinerei an. Meine Jacke ist total bespritzt.«
»Augenblick mal!«, sagte der Mann kopfschüttelnd. »Erstens bin ich hier nicht herumgeschlichen, vielmehr haben Sie mich Mistkerl genannt, sind um die Ecke geschossen und haben mich über den Haufen gerannt. Zweitens haben Sie mich verbrüht und nicht ich Sie.«
»Der ›Mistkerl‹ galt nicht Ihnen. Und dass Sie sich verbrüht haben, dafür kann ich doch nichts. Sie müssen ja keinen Kaffee durch die Gegend tragen. Typisch Beamter! Das passt hervorragend in mein Bild, das ich gerade von Ihrem Laden bekommen habe.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Kaffeetrinkende, aktenherumschleppende Beamte, die die Zeit totschlagen. Und alles auf Kosten der Bürger.«
»Wow! Tolles Statement!« Er nickte anerkennend und betrachtete Anne. Ihre braunen Augen blitzten ihn an, und er begann zu lächeln.
»Sie scheinen das Ganze ja sehr amüsant zu finden.«
»Im Grunde nicht. Ich dachte nur gerade, dass Ihnen wohl eine ganz dicke Laus über die Leber gelaufen sein muss, wenn Sie mich so angiften.«
»Nein! Keine dicke Laus, eher ein dicker Kollege von Ihnen. Aber das kommt so ziemlich aufs Gleiche raus.«
Carsten Westphal grinste. »Lassen Sie mich raten. Sie kamen von da hinten.« Er blickte den Flur entlang. »Dann ist die dicke Laus sicher Ludwig Dauscher, stimmt’s?«
»Exakt!« Anne machte einen großen Bogen um die verstreuten Unterlagen und wollte gehen.
»He! Moment mal! Wollen Sie mich mit dem ganzen Chaos hier allein lassen?«
»Ja, das will ich.« Damit lief sie die Treppen hinunter.
Carsten blickte ihr hinterher. Schade, dachte er, so eine hübsche Person, aber so was von zickig. Er machte sich daran, die Papiere aufzusammeln. Plötzlich hielt er Annes Brief in den Händen. Er las und sah nachdenklich in die Richtung, in die sie verschwunden war. Dann warf er den Becher in den Mülleimer, ging in sein Büro und legte die Akten ab. Annes Brief faltete er zusammen und steckte ihn vorerst in seine Hosentasche. Anschließend lief er zum Ausgang. Dort sagte er der Zentrale, dass er kurz nach Hause müsse, um sich umzuziehen.
Auf dem Parkplatz sah Carsten Anne gegen einen Wagen gelehnt stehen. Sie starrte vor sich hin. Carsten ging langsam auf sie zu. Erst als er direkt vor ihr stand, bemerkte sie ihn und richtete sich erschrocken auf. Er sah den feuchten Schimmer in ihren Augen.
»Geht es Ihnen gut?« Seine warme, sonore Stimme klang freundlich.
»Ja. Ich brauchte nur ein bisschen frische Luft, bevor ich zur Arbeit zurückgehe.« Sie wandte sich ab und öffnete die Autotür, um einzusteigen.
»Moment mal, laufen Sie doch nicht immer weg.«
Anne blickte ihn über die Schulter hinweg an. »Wollen Sie mich in Handschellen legen und mich dann zum Kaffeewischen und Aufräumen schleifen?«, fragte sie spöttisch.
»Nein! Ich wollte Ihnen nur etwas wiedergeben, das Sie bei unserem Zusammenstoß verloren haben. Es gehört doch Ihnen?« Er zog den Brief heraus und hielt ihn ihr hin.
»Ja.« Sie wandte sich ihm zu. »Das ist meiner, aber ich brauche ihn nicht mehr. Sie können ihn gern in den Mülleimer werfen.«
»Kein Problem. Ich habe ja jetzt Erfahrung im Beseitigen von Schweinereien. Also, schaffe ich das auch noch.« Er drehte sich zum Gehen um.
»Warten Sie!«, rief Anne. »Ich war eben ganz schön eklig zu Ihnen. Ich habe meine ganze Wut an Ihnen ausgelassen.«
»Ich liebe es, auf Klischees reduziert zu werden. Also, ist schon okay.«
»Nein, ist es nicht.« Sie sah zu ihm auf. Er war mindestens einen halben Kopf größer.
»Stimmt. Sie haben meinen ganzen Tagesablauf durcheinandergebracht. Meinen Beamtenkaffee haben meine Akten und mein Hemd aufgesaugt, und ich weiß nicht, wie ich ohne ihn weiter Unterlagen spazierentragen kann.«
Anne erwiderte sein Lächeln. »Kann ich das irgendwie wiedergutmachen? Vielleicht kann ich Ihnen die Reinigung des Hemds bezahlen.«
»Nein, aber Sie könnten mich zum Kaffee einladen«, antwortete Carsten ganz spontan.
Anne zögerte einen Moment. Eigentlich müsste sie zurück ins Büro, aber sie fühlte sich der Arbeit noch überhaupt nicht gewachsen. »Gut«, sagte sie deshalb. »Aber nicht aus Plastikbechern. Oder sind Sie das so gewohnt?«
»Nein!« Er lachte. »Tassen sind mir in der Regel
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