Abgehakt
immer wieder in den Rückspiegel, um irgendeinen Verfolger ausmachen zu können. Obwohl ihr nichts Verdächtiges auffiel, fuhr sie mehrere Umwege, bis sie sicher glaubte, unbeobachtet zu sein.
Am Eingang der Polizeistation fragte sie nach dem zuständigen Beamten.
»Zimmer 304, Herr Dauscher«, hieß es.
Sie nahm den Aufzug und klopfte kurz darauf an die angegebene Tür.
Eine dunkle Stimme rief: »Herein!«
»Guten Tag!« Anne trat ein und schloss die Tür hinter sich. Das Zimmer war klein, und es roch nach abgestandenem Zigarettenqualm. Ein wuchtiger Mann, Anfang fünfzig, saß hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich Akten und Papiere stapelten.
»Mein Name ist Anne Degener. Ich möchte eine Anzeige machen«, sagte sie fest.
»Setzen Sie sich. Worum geht es?«
»Ich habe in der letzten Zeit drei anonyme Briefe bekommen.«
»Wo sind sie?« Dauscher streckte die Hand aus und Anne reichte ihm den dritten Brief.
»Die beiden ersten sind verschwunden.«
Herr Dauscher krauste die Stirn, und Anne berichtete von dem Inhalt der beiden ersten Briefe, dem Einbruch, den vergifteten Fischen und von Daniela.
»Junge Dame«, sagte er, nachdem sie geendet hatte, und lehnte sich zurück. »Das ist ja alles schön und gut, aber was soll ich da tun?«
»Sie sollten meine Nachbarin überprüfen, denke ich. Aber eigentlich sollten Sie doch wissen, was in so einem Fall zu tun ist.«
»Sie erzählen mir von Briefen, die Sie nicht haben, von einer Nachbarin, der Sie selbst einen Schlüssel gegeben haben und die für einen anderen einen Brief abgelegt hat. Sie reden von Fischvergiftung und haben sämtliche Spuren, sofern es welche gegeben hätte, bereits gründlich beseitigt. Die Fische könnten doch tatsächlich an einer Krankheit gestorben sein.«
Sie unterbrach ihn. »Haben Sie den dritten Brief nicht gelesen? Da steht doch deutlich, dass er sich mit den Fischen beschäftigt hat, um mich zu schocken.«
»Das kann man auslegen, wie man will. Lassen Sie mich Ihnen einen guten Rat geben. Vergessen Sie die Sache. Wenn Sie, wie Sie sagen, den Herrn nicht mehr treffen, werden ja auch diese Briefe aufhören.«
»Dieser Jemand weiß aber vielleicht nicht, dass ich die Beziehung beendet habe. Was, wenn etwas Schlimmeres passiert?«
»Dann werden wir weitersehen.« Für ihn war der Fall offensichtlich erledigt, denn er wandte den Blick ab.
Anne sprang auf und stützte sich mit den Fäusten auf der Schreibtischkante ab. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Verstehen Sie denn nicht, was bei mir passiert? Ich werde offensichtlich beobachtet. Man dringt in meine Wohnung ein, schreibt mir Drohbriefe. Mit einem bisschen guten Willen könnten Sie sich vielleicht in meine Lage versetzen. Ich habe Angst.« Sie starrte ihn zornig an.
»Ich bin Polizist und nehme meine Arbeit sehr ernst. Denken Sie etwa, Sie sind hier der einzige Fall? Ihre Sache ist eher eine Lappalie, glauben Sie mir.«
»Sie spielen sich hier ganz schön auf. Von wegen: die Polizei, dein Freund und Helfer. Sie interessiert es doch kein bisschen. Sie haben ja nicht mal nach Einzelheiten gefragt. Sie sind das Paradebeispiel eines faulen Beamten.«
»Jetzt passen Sie aber auf, was Sie sagen«, warnte er. »Sie ahnen ja nicht, was für Geschichten ich täglich zu hören bekomme. Da werden unbedeutende Kleinigkeiten zu riesenhaften Problemen hochstilisiert. Ich kann Ihnen nur raten, sich mit etwas Positivem zu beschäftigen. Das ist das beste Mittel gegen Angst.« Er verzog den Mund zu einem schmallippigen Lächeln und sah sie geringschätzig an.
»Sie werden also nichts unternehmen!« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Anne warf ihm einen letzten vernichtenden Blick zu, griff nach ihrem Brief und wandte sich ab. Mit lautem Türknallen verließ sie den Raum. Fluchend lief sie den Flur entlang, an den Aufzügen vorüber. Sie wollte nur noch weg hier, bloß nicht stehenbleiben.
»Mistkerl!«, rief sie laut, bevor sie schwungvoll um die Ecke schoss, hinter der die Treppen waren. Im nächsten Augenblick stieß sie mit einem Mann zusammen, der einen Kaffeebecher balancierte. Die Akten, die er unter dem Arm trug, knallten auf den Boden, einzelne Blätter flogen durch die Luft, und sein Kaffee schwappte auf seine Hand und sein Hemd. Auch Anne ließ ihren Brief fallen und stolperte rückwärts, kam aber ebenfalls nicht ganz fleckenfrei davon.
»Scheiße, ist das heiß!«, fluchte der Mann und ließ den Plastikbecher fallen. Der Rest des Getränks ergoss sich über
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