abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
darstellte: in Stein geschlagenes Pathos. Was ich für die Silhouette eines Bootes gehalten hatte, entpuppte sich als eine Art Pietà. Die Künstlerin hatte ihre Geliebte dargestellt, die Forelle in einem wallenden Gewand, selig lächelnd, wie sie die vom Schmerz überwältigte Coco Reitmeier schützend in ihren Armen wiegt. Es trug den Titel: Frau 277.
Durch die Menge ging ein leises Raunen. Jemand klatschte verhalten in die Hände. Niemand klatschte mit. Ein Kellner fuhr einen Servierwagen scheppernd gegen die Wand.
30
Ich wanderte lange ziellos durch Kölns Shoppingmeilen und guckte mir alle Schaufenster intensiv an. Mir taten die Füße weh, und ich hatte Hunger. Auf der Feier hatte ich es noch nicht einmal bis zu den Silbertabletts geschafft. Du meine Güte, was für ein Auftrieb – was für ein Ende. Arme Coco Reitmeier. Und Rettich, wenn du es mit eigenen Augen gesehen hättest, wärst du spätestens dann tot umgefallen.
»Was darf ich Ihnen bringen?«
Holla, wo kamen denn jetzt die Schlitzaugen her?
»Guten Abend, darf ich Ihnen was bringen?«
Ich schaute mich hektisch um. Führte ich schon wieder Selbstgespräche?
»Habe ich laut gesprochen?«, flüsterte ich dem jungen Japaner, der aussah wie eben aus einem Tamagochi geschlüpft, zu.
»Nein. Haben Sie nicht«, antwortete er mit ernstem Gesichtsausdruck.
»Okay, wo bin ich?«,
» Bentobox. Japanisches Restaurant. Ich bin Ihr Kellner«, flüsterte er ohne den leisesten Hauch von Irritation in der Stimme. Wenigstens einer, der Bescheid wusste.
Okay. Okay. Alles ist gut, Maggie. »Ich nehme grünen Tee und das frittierte Sesam-Huhn mit Erdnusssauce und eine Misosuppe. Zweimal bitte.«
»Erwarten Sie noch jemanden? Soll ich mit der Bestellung noch einen Augenblick warten?«
»Nein. Das ist alles für mich.« Für mich ganz allein.
Ich schaute aus dem Fenster. Menschen liefen geschäftig hin und her, als sei das ein Tag wie jeder andere Tag. Weniger Geschäftige hatten es sich auf den Bänken bequem gemacht und aßen ein Eis. Ich stopfte mir das Sesamhuhn rein, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen.
Reitmeier, dass du tot bist, tut mir ehrlich Leid. Das hast du nicht verdient. Und ich hoffe, dass Coco deine Scheißsegelyacht in die Luft gesprengt hat. Und ich hoffe, dass sie für deinen Grabstein nicht einen Cent bezahlt. Am besten, sie schickt ihn gleich in die Hölle zurück, aus der er gekommen ist.
Es wurde schon dunkel, als ich an meinem letzten Stück Huhn, zweite Portion, knabberte. Der Knipser hatte nicht an die Scheibe geklopft, und ich war nicht erstickt. Was das jetzt beweisen sollte, wusste ich selbst nicht, aber es beruhigte mich ungemein. Auf dem Platz gingen die Lichter an. Es fing an zu nieseln. Höchste Zeit, zum Bahnhof aufzubrechen und den nächsten Zug zu erwischen. Ich prostete dem freundlichen Tamagochi mit der achthundertsten Tasse grünen Tee zu und verlangte die Rechnung.
Tschüss Rettich, tschüss Köln. War manchmal schön mit euch, aber das Ende hätte besser sein können.
Als ich um kurz vor eins in der Nacht mit dem vorletzten Regionalexpress aus Köln wieder in Bochum ankam, zog es mich zu einem Wodka ins Café Madrid. Ich wollte meine persönliche Totenfeier für den Rettich würdig beschließen. Nicht betrinken, nur einen Wodka und dann wieder in Kajos Haus schleichen und so tun, als sei nie was gewesen, und morgen in aller Herrgottsfrühe den Vermieter anrufen und Dampf machen. Das Souterrain musste auf der Stelle, endgültig, fertig werden! Ich brauche dringend nur noch mich, mich und mich um mich herum. Und vielleicht den Kater, wenn er denn wieder mitkommen will. Vielleicht hatte er sich aber auch schon längst für Nikolaj und Sheba entschieden. Katzen sind auch bloß Menschen.
Ich war so tief in Gedanken darüber versunken, was ich als Nächstes mit meinem Leben anfangen sollte, dass ich beinahe von der Eingangstür des Café Madrid am Kopf erwischt worden wäre. Die flog mit Schwung auf, ich sprang in letzter Sekunde einen halben Meter rückwärts und wäre fast von Winnie überrannt worden, der aus der Tür gestürmt kam. So viel zu meiner unmittelbaren Zukunft. Wahrscheinlich verhaftet er mich jetzt, weil ich nicht auf dem Präsidium war.
»Maggie!«
»Winnie!«
»Du warst nicht auf dem Polizeirevier.«
Wusst’ ich’s doch!
»Ich war in Köln. Hatte ich dir doch gesagt.«
Winnie drehte sich wankend einmal um seine eigene Achse. Er machte den Mund auf, sagte aber nichts.
»Winnie,
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