abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
einen unangemeldeten Besucher über den Jägerzaun am Ende des Gartens springen. Dr. Dr. Herzig nahm wieder mal die Abkürzung. Er winkte mir schon von weitem mit einem Brief in der Hand zu.
»Hallo, Frau Abendroth. Schon zurück von der Kur?«
Ich stellte den Eimer ab, nahm erleichtert den Brief entgegen und ging ins Haus. Herzig folgte mir.
»Machen Sie sich selber einen Kaffee. Sie wissen ja, wo die Küche ist.«
»Aber natürlich.«
Für das Honorar, das Herzig für die Verteidigung von Herrn Matti kassierte, hätte er sich einen Butler leisten können, der ihm den ganzen Tag mit einer Tasse frisch gepresstem Espresso hinterherlief.
Während sich der Doppeldoktor in der Küche zu schaffen machte, setzte ich mich mit dem Brief an den Teakholzschreibtisch von Kajos verstorbener Mutter und legte die Füße hoch.
»Haben Sie etwa die Espressokanne geschrubbt?«, rief Herzig entsetzt aus der Küche.
»Nein, ein verblendeter Hausgast. Das bisschen Aluminium wird Sie nicht umbringen.«
Ich überließ den Anwalt seinem Schicksal und las den Brief:
Sehr geehrte Frau Margret,
Sie sind mir gewogen! Ich habe mich über Ihre Karte aus Bad Camberg sehr gefreut. Ich weiß, in Ihren Augen kämpfe ich wie einer, der besiegt werden will. Aber noch ist die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, die Stütze, an die ich mich getrost lehnen will. Seien Sie also unbesorgt.
Mein Anwalt bat mich, Ihnen Folgendes auszurichten: Bitte suchen Sie ihn nicht mehr so häufig auf. Mir kam es so vor, als fühle er sich gestört. Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Er ist in der Lage, den Fall alleine zu bewältigen.
Werte Frau Margret, wenn Sie so freundlich wären, mir beim nächsten Besuchstermin wieder Papier und Kugelschreiber bei der Gefängnisdirektion zu hinterlegen? Der Herr Staatsanwalt hat sicher nichts dagegen. Ich danke Ihnen.
Euer sehr ergebener Diener
Matti Paavo Bietiniemolaiinnen
PS:Wenn Sie mich das nächste Mal besuchen, habe ich eine Überraschung für Sie.
Draußen brummte der Rasenmäher meines Nachbarn. Während ich las, kippelte ich nervös mit dem Stuhl hin und her. Was sollte das denn heißen? Mein Anwalt bittet Sie, ihn nicht so häufig aufzusuchen.
»Hey, Dr. Herzig, was soll das heißen, ich soll Sie nicht belästigen? Kommt das wirklich von Ihnen?«, rief ich in Richtung Küche.
»Warum schreien Sie so, Frau Abendroth? Ich sitze auf dem Sofa.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein Kopf flog vor Schreck herum, ich verlor das Gleichgewicht, und wenn Herzig nicht geistesgegenwärtig sein Bein ausgestreckt und den Ruin seiner maßgeschneiderten Hosen und der handgenähten Budapester riskiert hätte, wäre ich mit dem Stuhl nach hinten umgekippt.
»Danke«, stöhnte ich.
»Bitte, gern geschehen.« Er wischte sich nicht vorhandene Kaffeeflecke von seiner Hose und fuhr fort: »Was gibt es denn da nicht zu verstehen? Ich habe nie irgendwas in dieser Richtung gesagt! Ganz im Gegenteil, er will nicht, dass Sie mit mir reden. Wortwörtlich hat er gesagt: ›Herr Dr. Dr. Herzig, ich befürchte, dass Frau Margret ihre knapp bemessene Zeit an Sie verschwendet‹.«
Den Satz musste ich mir erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich und knapp bemessene Zeit!? Na ja. Ab morgen wäre das ja auch so. Aber Herr Matti konnte doch von meinem Jobangebot noch gar nichts wissen?!
Ich stand auf, drehte den Stuhl herum und schaute Herzig an, wie er da süffisant lächelnd auf dem bösen Sofa saß, auf dem an Weihnachten ein Mensch ermordet worden war. Um genau zu sein, die Krankenschwester, die Kajos sterbenden Vater betreut hatte. Ich saß nie auf diesem Sofa. Ich saß auf dem anderen, dem guten, auf der anderen Seite des monströsen Couchtisches. Ich musste kurz die Augen schließen, um das Bild der Toten aus meinem Kopf zu vertreiben. Am hartnäckigsten verfolgte mich der Anblick ihres hochgerutschten Kittels und ihrer blassen, dicken Beine, die unterhalb des Knies von dunkelbraunen Stützkniestrümpfen eingeschnürt wurden. Als ich die Augen wieder öffnete, saß Gott sei Dank der lebende Bilderbuchanwalt wieder auf der Couch: um die fünfzig, grau melierte Schläfen, Maßanzüge, Maßschuhe, maßlose Honorarforderungen, Kaffeekenner und Mitglied im Lions Club. Diverse Geheimnamen, die ich mir für ihn bereitgelegt hatte, waren schon an ihm abgerutscht. Clooney, Davidoff, Old Spice? Abgeperlt wie Öl. Und mit Ally MacBeal brauchte ich es gar nicht erst zu versuchen.
Einzig ein leichtes Zucken seiner rechten
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