Abgeschaltet
Motorenprüfstände im Untergeschoss äußerst knapp geschnitten sind, die Techniker müssen sich zwischen den Leitungen durchwinden, um an den Prüfling zu gelangen.
Aber man sollte sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen. Denn hier, am Lehrstuhl für Angewandte Thermodynamik an der Technikuni Aachen, wird Forschung betrieben, die zur Weltspitze gehört, ja deren Ansatz sogar weltweit einmalig ist. Während fast überall versucht wird, Biokraftstoffe so zu gestalten, dass sie die Eigenschaften von Benzin und Diesel möglichst perfekt imitieren, forschen die Ingenieure des Instituts gemeinsam mit Kollegen an 20 weiteren Instituten, wie man Motoren und neue Kraftstoffe so optimiert, dass das Zusammenspiel das optimale Ergebnis bringt.
Koordiniert werden die 80 Forscher von Martin Müther. Ein junger Mann, eher unauffällig. Eigentlich wollte er Chemiker werden, studierte dann aber Maschinenbau. Und baut heute Brücken zwischen den verschiedenen Forschungsdisziplinen in einem Projekt, das Biologen, Chemiker, Verfahrenstechniker und Maschinenbauer an einen Tisch bringt.
Gemeinsam haben sie im Aachener Exzellenzcluster einen Weg gefunden, Lignozellulose zu verarbeiten. Zunächst wird das Pflanzen-Rohmaterial mit Hilfe ionischer Flüssigkeiten in seine Hauptbestandteile Zellulose, Hemizellulose und Lignin zerlegt. Das ist wichtig, weil derzeit nur die Zellulose, die zuckerähnliche Moleküle enthält, weiterverarbeitet wird. Ionische Flüssigkeiten klingen geheimnisvoll, gemeint sind jedoch einfach Stoffe, die wie Kochsalz aus positiv geladenen Atomen (Ionen) aufgebaut sind. Während Kochsalz bei Zimmertemperatur fest ist, gibt es auch Salze, die dann schon geschmolzen sind – ionische Flüssigkeiten eben. Im nächsten Schritt, von den Chemikern Depolymerisation genannt, wird die Zellulose in Glukose, sprich Traubenzucker, umgewandelt. Nach intensiver Forschung sind die Aachener heute so weit, dass in zwei Stunden fast die komplette Zellulose genutzt werden kann, nur fünf Prozent bleiben als nicht verwertbarer Abfall zurück.
Glukose ist ein dankbarer Ausgangsstoff, ihre Moleküle lassen sich gut umbauen. Zum Beispiel, indem man sie mit Hilfe von Bakterien, Eiweißen oder Pilzen fermentiert oder Wasserstoff entfernt (man spricht dann von Dehydrierung). Über weitere Verarbeitungsschritte entstehen Moleküle mit so schönen Namen wie 2-Methyltetrahydrofuran, kurz 2-MTHF, die sich als Komponente eines Kraftstoffes einsetzen lassen. In ersten Untersuchungen mit Einzylindermotoren zeigte sich, dass 2-MTHF auch jenseits der guten Kohlendioxidemission Vorteile hat: Rußemissionen können völlig vermieden werden, auch wenn der Stickoxidausstoß minimal ist – bei heutigem Diesel, auch bei Biodiesel, steigt der Stickoxidausstoß stets, wenn die Rußpartikel weniger werden. Allerdings wurde auch deutlich, dass eine Anpassung der Motoren notwendig ist. »Für den Diesel war die Zündwilligkeit zu niedrig, für den Benziner eigentlich zu hoch«, so Müther. Hier kommen die Motorentechniker im Projekt zum Zug, sie entwickeln beispielsweise einen innovativen Glühstift – eigentlich zum Vorheizen des Dieselmotors bei Winterkälte gedacht –, der bei bestimmten Betriebsbedingungen quasi als Zündung funktioniert.
Beim Testen des biologisch gewonnenen 2-MTHF stellten die Ingenieure außerdem fest, dass es die Dichtungen der Einspritzpumpe auflöste. Im Motor müssten also neue Werkstoffe für die Dichtungen verwendet werden – falls 2-MTHF überhaupt das Rennen macht. Denn es handelt sich nur um eine mögliche Komponente eines komplett neuen Kraftstoff-Motor-Systems. Künftig wollen die Aachener auch die übrigen Bestandteile der Pflanze, Hemizellulose und Lignin, zu Kraftstoff verarbeiten. »An das Lignin heranzukommen und es zu verarbeiten, ist allerdings besonders anspruchsvoll«, erläutert Müther. »Da sind wir noch ganz am Anfang.« Kein Wunder, handelt es sich dabei doch um sehr große Moleküle, die durch ihre Festigkeit das Stützgerüst der Pflanzen bilden. Der in Aachen entwickelte Kraftstoff soll letztendlich aus den Verarbeitungspfaden aller drei Pflanzenbestandteile zusammengemixt werden. Der Motor und die Verbrennung werden sich anpassen müssen, um alle Anforderungen zu erfüllen, die man an einen Automotor so stellt: minimale Schadstoffemissionen, geringes Geräusch, hoher Wirkungsgrad, lange Lebensdauer.
In gewisser Weise ist das Vorgehen des Exzellensclusters die Umkehrung der bisherigen
Weitere Kostenlose Bücher