Abgründe der Leidenschaft

vollbrachte tatsächlich ein Wunder. Er schnitt Carla die Haare kurz, so dass sie einen weichen Rahmen um ihr Gesicht bildeten, und setzte ein paar rötliche Highlights. Zusammen mit Ronnie verbrachte er eine Stunde damit, Carla zu zeigen, wie sie Make-up auflegte und Kleider auswählte, die ihre tolle Figur unterstrichen. Gemeinsam probierten sie Ohrringe und Halsketten an Carla aus, um zu sehen, welcher Schmuck ihre Gesichtsform und ihre großen braunen Augen noch besser zur Geltung brachte. Jean-Claudes Nagelpflegerin kümmerte sich um ihre Nägel und lackierte sie in einem leuchtenden Farbton, bei dem Carla an Blutrot denken musste.
    Als sie sich schließlich selbst im Spiegel musterte, freute Carla sich wahnsinnig. Ihre Augen wirkten größer und ihre Wangenknochen höher. Lange goldene Ohrringe ließen ihren Hals länger erscheinen, und der blaugrüne Schal, den Jean-Claude um den Kragen ihrer weißen Bluse geschlungen hatte, brachte das Rosa ihrer Wangen zum Leuchten.
    »Erinnerst du dich noch, als wir an dem Nachmittag im Sommer … äh … zusammengestoßen sind?«, sagte Ronnie mit einem Zwinkern. »Du hast dich selbst als ›mittelbraun und durchschnittlich, durchschnittlich, durchschnittlich‹ bezeichnet.«
    »Das habe ich.«
    »Und jetzt?«
    Carla betrachtete sich im Spiegel. »Tja, ich muss zugeben, dass ich doch gar nicht so übel aussehe.«
    »Gar nicht übel – das kann man wohl sagen.«
    Als Carla am späten Nachmittag nach Hause kam, starrten ihre Jungs sie nur an. »Hey, Mom. Was soll das mit der neuen Frisur und so?«, fragte Tommy.
    »Ich habe mich umstylen lassen. Meine Freundin Ronnie hat es vorgeschlagen. Gefällt es euch?«
    »Nein!«, erwiderte Tommy. »Du siehst aus wie ein Model, nicht wie eine Mom.«
    »Ja«, meldete sich ihr Jüngster zu Wort.
    »Ich denke, ich nehme das mal als Kompliment.«
    »Hört auf damit, Jungs«, sagte BJ . »Mom sucht nach einem Mann. Es ist gut für sie, wenn sie datet und so.« Er tätschelte ihren Arm, und Carla fiel mit einem Mal auf, dass ihr dreizehnjähriger Sohn beinahe genauso groß war wie sie. »Schon gut, Mom. Wenn du einen netten Mann findest, erkläre ich es den beiden hier.«
    »Danke, BJ «, sagte sie vollkommen verblüfft. »Aber ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann. Ich möchte nur für meine Geschäftstermine etwas schicker aussehen.«
    »Du weißt genauso gut wie ich, dass Erwachsene einen Partner brauchen«, entgegnete BJ . »Wegen der Hormone und so.«
    »Wieder Oprah?«
    »Ja. Und wir haben das im Sexualkundeunterricht gelernt.«
    Carla bemühte sich, nicht in Lachen auszubrechen.
    »Wirst du denn weiterhin für uns kochen und so?«, fragte Tommy, der mit seinen elf Jahren noch zu jung war, um das alles zu verstehen.
    »Natürlich. Wenn ihr mich in die Küche lasst, machen wir Burger für alle.«
    Drei Tage nach Carlas Besuch bei Jean-Claude parkte Tim Sorenson seinen Kombi direkt vor Ronnies Haus – unerwartet war die Parklücke frei geworden, als ein Van weggefahren war. Einen Moment lang blieb er noch sitzen und dachte über seinen Auftrag nach: Er sollte für ein Album wie
Black Satin
Fotos von Ronnies Freundin Carla machen. Ronnie hatte ihm viel über die Frau erzählt, die er gleich treffen würde, und er war sich sicher, dass er einen professionellen Job machen würde.
    Seit seinem ersten Abend mit Ronnie war Tim weit gekommen. Er hatte es geschafft, seinem Vater zu sagen, dass sein Berufsleben sich nicht nur um das Ölgeschäft drehen würde. Er musste zugeben, dass TJ die Neuigkeiten gut aufgenommen hatte. Obwohl er immer noch mit seinem Vater zusammen bei
American Oil und Gas Products
arbeitete, sah Tim sich inzwischen auch als Fotograf. Seine Arbeiten waren in einigen Fotomagazinen erschienen, und zwei seiner Aufnahmen der kalifornischen Küste tauchten öfter in Fotoläden auf. Kunden, die wollten, dass Tim Porträtaufnahmen von ihnen machte, mussten drei Monate im Voraus buchen.
    Doch was noch wichtiger war – dank Ronnie hatte Tim den Spaß am Sex entdeckt. Seine neue Lebendigkeit zeigte sich auch in seinen Arbeiten. Die Frauen wirkten hübscher, die Männer kräftiger. Sein erster ernsthafter Fotoauftrag waren die beinahe zweihundert Fotos gewesen, die er von Ronnie für ihr Album gemacht hatte. Während dieser Fotosession hatten sie sich auf Arten geliebt, von denen Tim nicht zu träumen gewagt hatte. Und seither waren sie noch ein paarmal zusammen gewesen. Er betrachtete sich inzwischen als sexuell