Abgründe (German Edition)
einen Schluck Kaffee aus einem dunkelblauen Becher, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden.
Auch Gladys und Mason starrten gespannt auf den Bildschirm. Gerade hatten sie Hansons Verhaftung bekannt gegeben und jetzt flimmerten Bilder von einem Mann, der sich eine grüne Arbeitsjacke über den Kopf gezogen hatte und in Handschellen ins Polizeipräsidium von Virginia Beach geführt wurde, über sämtliche Sender. Die Medien spielten total verrückt. Manche Magazine berichteten fälschlicherweise, dass der Mörder und nicht nur ein Verdächtiger gefasst worden sei, was den Imageschaden für die Polizei im Ernstfall nur zusätzlich vergrößern würde.
Mittlerweile war es Mittag und Ethan hoffte, dass es glaubhaft war, wenn sie ihn nachmittags frei ließen. Niemand hatte Einblick in die Polizeiarbeit, also würde es wahrscheinlich glaubhaft sein, doch die Kürze des Verhörs würde auch zeigen, dass die Beweise gegen Hanson nicht sehr stichhaltig gewesen waren, was wiederum schlecht für das gesamte Team war. Ihr Plan musste einfach funktionieren, ansonsten könnten sie alle ihre Jobs verlieren.
Ethan warf einen Blick auf die Uhr. Die Unruhe fraß sich immer tiefer in seine Nerven. Im Fernsehen löste ein aufgeregter Nachrichtensprecher den anderen ab. Donovan leerte seinen Kaffee und grummelte, dass er mal eben zum Supermarkt gehen würde. Es war ein alter Scherz unter ihnen, dass der kleine Laden in der Nähe des Polizeireviers wohl nur wegen ihm existenzfähig war – doch heute war niemandem nach Scherzen zumute.
Eine Stunde später hatte sich die Lage im TV immer noch nicht beruhigt. Mittlerweile wurden Gespräche mit so genannten Experten gezeigt, die mutmaßten, ob denn ein Gärtner aus der Vorstadt tatsächlich die Resort City-Bestie sein könne. Die Zeit kroch nur so dahin. Donovan war längst zurück und kaute angestrengt Kaugummi. Auch Gladys wirkte angespannt. Ihnen allen spukte im Kopf herum, was später möglicherweise alles würde schief laufen können. Das Warten war bei solchen Einsätzen immer das Schlimmste. Es war nervenzehrend, und ohne Ablenkung konnte man schnell den Verstand verlieren. Ethan stand auf und blickte kurz in die Runde.
»Ich muss mir mal die Beine vertreten. Wir haben doch noch Zeit, oder?«
»Eine Menge. Soll ich mitgehen?« Nach gestern Abend wirkte Donovan wie ein besorgter, großer Bruder auf ihn, obwohl sie gleich alt waren.
Ethan verneinte und wandte sich zur Tür. Es war völlig unmöglich, dass ihn jemand begleitete, auch wenn ihn schon wieder das schlechte Gewissen packte.
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Das Gebäude wurde noch immer von Reportern belagert und Ethan hatte keine konkrete Idee, wie er unbemerkt verschwinden sollte. Vielleicht konnte er den Lieferanteneingang der Kantine benutzen und sich heraus schleichen. Er durfte auf keinen Fall riskieren, von der Presse gesehen oder gar bei seinem Vorhaben fotografiert zu werden. Doch ausnahmsweise hatte er Glück und gelangte ungesehen aus dem Gebäude und zu seinem Wagen. Die Reporter hatten sich alle vor dem Haupt- und Hintereingang versammelt, ohne damit zu rechnen, dass sich einer der Detectives zwischen die Lieferanten mischen würde.
In der Mittagssonne offenbarte der Straßenstrich seine hässlichsten Seiten. Der Boden war übersät von zerknüllten Taschentüchern und benutzten Kondomen. Aus den Abfalleimern quollen Fast Food-Verpackungen und Getränkedosen. Die Fenster der Wohnwagen waren trüb vor Schmutz und die Mädchen, die sich in ihren kurzen Sachen an der Straße die Beine in den Bauch standen, zeigten Schönheitsfehler, die man in der Nacht nicht sah.
Jillian fehlte. Und Cara-Mia, natürlich. Bei Talisha konnte er sich nach seinem Ausfall von neulich nicht mehr blicken lassen und die meisten anderen Mädchen hier waren nicht Ethans Fall. Sie waren entweder zu jung oder zu alt und verbraucht. Manchen stand die Drogensucht so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie nichts Anziehendes mehr an sich hatten. Ethan hatte schon öfter Freier beobachtet, die sich gerade solche Mädchen herausgesucht hatten. Was für eine Neigung dahinter steckte, konnte er nur vermuten.
Ausgerechnet an Cara-Mias altem Platz entdeckte Ethan eine Frau, die ihm gefiel, vielleicht, weil sie so völlig anders aussah als die Mädchen, die er sonst mitnahm. Ihr Haar war lang und pechschwarz, ihr Teint dunkel. Ihre Lippen waren knallrot und sie hatte etwas Ungewöhnliches an sich, eine gewisse Eleganz, mit der sie sich von allen anderen
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