Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
Person. Und es sah nicht nach Zufall aus.
Der erste Hinweis kam von einer jungen Studentin. Sie hatte in der Uni, unweit der Mensa, einen Mitstudenten beobachtet, der das von uns dort am Schwarzen Brett angebrachte Phantombild abgerissen und eingesteckt haben soll. Zugegeben, das alleine klang noch nicht so heiß. Schließlich gibt es nicht nur unter Studenten genügend Leute, die ein gestörtes Verhältnis zu den Strafverfolgungsbehörden haben und jede Unterstützung derselben ablehnen.
Interessanter klang aber der zweite Teil dieser Aussage. Der Kommilitone sei schon seit geraumer Zeit in keiner Vorlesung mehr gewesen. Abgesehen davon, dass er sich »merkwürdig« benehme, habe er richtig gehetzt gewirkt, habe sich mehrfach umgeschaut, bevor er das Plakat abriss, habe es dann aber nicht einfach in den Papierkorb geworfen, der daneben stand, sondern habe es eingesteckt. Das allerdings war ungewöhnlich. Warum warf er es nicht einfach weg? Weil es zum Spurenträger geworden war, den er anderweitig entsorgen wollte?
Nun kam auch noch der dritte Teil der Aussage, der
mich endgültig euphorisch werden ließ. Es war die Beschreibung. Ein noch ziemlich junger Mann mit einer auffallenden Vollglatze sei es gewesen. Mein erster Gedanke: Er wollte das Bild möglicherweise entfernen, weil es ihm ähnlich war und er damit nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte. Oder glaubte er sich in dem Bild selbst zu erkennen?
Der Rest war Routine. Die Studentin konnte den Kursus benennen, in dem der junge Mann bis vor einigen Monaten war, und zwei Stunden später kannten wir den Namen und die Adresse. Alexander W., 23 Jahre, gemeldet in München-Moosach.
Bevor wir ihn an diesem Tag aber aufsuchen konnten, ging noch ein zweiter Hinweis ein. Von einer völlig anderen Person. Wenn’s läuft, dann läuft’s, freuten wir uns. Der Hinweis betraf nämlich ebenfalls jenen Alexander W. Diese Zeitungsveröffentlichungen bringen halt doch was, dachte ich mir.
Es war ein vertraulicher, aber kein anonymer Hinweis. Die Anruferin betonte, sie sei sich darüber im Klaren, dass sie die ärztliche Schweigepflicht verletze, auch wenn sie nur die Sprechstundenhilfe sei. Aber sie könne ihr Schweigen nicht mehr länger mit ihrem Gewissen vereinbaren. Sie hätten einen Patienten gehabt, der ihrer Meinung nach für den Überfall auf die Studentin im Olympiapark in Frage kommen könnte. Es sei ein junger Mann mit Vollglatze, der zwar nicht ganz dem Phantombild in der Zeitung entspreche, aber vom Krankheitsbild her halte sie diesen ehemaligen Patienten einer solchen Tat für fähig. Er sei auch seit Ende Oktober nicht mehr in die Praxis gekommen. Ihre Chefin habe Angst vor diesem Patienten gehabt. Er heiße Alexander W., sei 23 Jahre, Student.
Mehr wolle und könne sie nicht sagen. Das genügt ja auch, dachte ich mir. Mein Ärger über eine Psychiaterin, die ihre ärztliche Schweigepflicht über die Gefahr für Menschenleben stellte, wich der Bewunderung für die mutige Sprechstundenhilfe.
Es war bereits 16.00 Uhr, als mein Kollege Horst W. - ein fast zwei Meter großer Koloss - und ich vor dem Anwesen in Moosach vorfuhren. Im vorderen Bereich des Grundstückes stand eines dieser hübschen Siedlungshäuser, im hinteren Teil befand sich ein kleineres, separates Häuschen, das Alexander W. angemietet hatte. Am Haupthaus fanden gerade Bauarbeiten statt. Wegen des Baulärms war zwischen dem jungen Ehepaar, welchem das Anwesen gehörte, und dem neuen Mieter ein heftiger Streit im Gange. Der Lärm störte den Mieter und er drohte mit Klage, wenn nicht eine dreistündige Mittagspause eingehalten würde. Das wiederum hätte eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung und zeitliche Verzögerung des Umbaues bedeutet und das war für die jungen Vermieter deshalb inakzeptabel. Das junge Ehepaar war verzweifelt. Zumal eine Klage auf Einhalt der Mittagspause mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg gehabt hätte und sie nicht wussten, wie sie ihren unliebsamen Mieter loswerden könnten.
Wir läuteten. Alexander W. öffnete und schaute uns an, als kämen wir von einem anderen Stern: »Sie wünschen bitte?«, fragte er in reinstem Hochdeutsch. Wir stellten uns als Kriminalbeamte vor und zeigten unsere Ausweise. Die wollte er gar nicht sehen, sondern schien uns auch so zu glauben, dass wir Polizisten sind. Was auch gar nicht so schwer war, denn irgendwie amtlich sahen
wir beide schon aus. Mir jedenfalls war schon öfter gesagt worden, dass man mir den »Bullen
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