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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Anschließend holte sie Milch aus dem Kühlschrank, goss sie darüber und schob ihm die eine Schale hin. Sie warf die Zigarette in die Spüle, ohne sie auszudrücken, führte sich einen Löffel aus ihrer Schale zum Mund und kaute geräuschvoll. Er probierte ebenfalls einen Löffel. Die Kugeln waren hart, lösten sich aber im Mund sofort auf.
    »Findest du das nicht lecker?«, fragte seine Mutter.
    »Ein bisschen«, sagte er.
    »Ist doch besser als Haferbrei«, sagte seine Mutter.
    Die Milch färbte sich bräunlich, er trank einen Schluck aus der Schale und fand es lecker. Er sah seine Mutter an. Sie hatte sich verändert, seitdem er sie zum letzten Mal gesehen hatte, sie hatte zugenommen, das Gesicht wirkte aufgedunsen. Sie hatte auch einen Schneidezahn unten verloren.
    »Findest du es nicht schön, wieder zu Hause zu sein?«, fragte sie.
    Er überlegte.
    »Doch«, sagte er schließlich, aber es gelang ihm nicht, sehr überzeugend zu klingen.
    »Was denn, bist du nicht froh, wieder bei deiner Mama zu sein? Das wäre ja noch schöner, wo ich mir doch so viel Mühe gegeben habe, dich zurückzuholen. Ich finde, dafür solltest du deiner Mutter dankbar sein. Dankbar für alles, was sie für dich getan hat.«
    Sie zündete sich eine weitere Zigarette an und betrachtete ihn nachdenklich.
    »Das wäre ja noch schöner«, wiederholte sie, während sie so kräftig an der Zigarette zog, dass sie aufglühte.
    Zum Schlafen legte er sich auf den Boden der Kellerwohnung in der Grettisgata, wo er für ein oder zwei Stunden einnickte. Er war schon seit Tagen nicht mehr bei sich zu Hause gewesen, denn er konnte sich nicht viel Schlaf leisten, da er das Scheusal im Auge behalten musste. Er durfte ihm nicht wieder entwischen.
    Die Eumig-Kamera hatte er nicht gefunden, und auch nicht die Filme. Er hatte Tische umgedreht, Schubladen herausgerissen und deren Inhalt auf den Boden gekippt, Schränke aufgebrochen und Bücherregale ausgeräumt. Nach langem Zögern hatte er endlich die Tür zum Schlafzimmer des Scheusals geöffnet, das genauso ein Saustall war wie die übrige Wohnung. Das Bett war nicht gemacht, er schlief direkt auf der dreckigen Matratze. In einer Ecke stand eine alte Kommode mit vier Schubladen, an der Wand ein großer Kleiderschrankund neben dem Bett ein Stuhl mit Klamotten. Der Fußboden war mit braunem Linoleum ausgelegt. Er machte sich zunächst über den Kleiderschrank her, er riss Hosen und Hemden von den Bügeln, leerte die Regale und warf alles auf den Boden. Einige von den Kleidungsstücken bearbeitete er mit dem Messer, das er bei sich hatte. Er kochte vor Wut, stieg in den Schrank und schlug so heftig gegen die Wände, dass eine Seitenwand herausbrach. Dann riss er die Schubladen aus der Kommode und leerte sie auf den Boden, aber sie enthielten nichts außer Unterwäsche, Socken und irgendwelchen Papieren, die er keines Blickes würdigte. Stattdessen trat er den Boden aus einer Schublade heraus. Zum Schluss kippte er den ganzen Schrank um und brach die Rückwand heraus. Er zerschnitt die Matratze kreuz und quer und zerrte sie aus dem Bettrahmen. Keine Spur von der Kamera oder den Filmen, die mit ihr gemacht worden waren.
    Er ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich neben das Wrack auf einen Stuhl. Die Kellerwohnung wurde einzig und allein von dem Bell&Howell-Vorführgerät erleuchtet, und der Lichtstrahl fiel auf eine Wand im Wohnzimmer. Er hatte es nicht ausgeschaltet, seitdem er es gefunden hatte. Er drehte den Apparat so, dass der Lichtkegel auf den Mann fiel, der gefesselt und mit der Maske vor dem Gesicht auf dem Stuhl saß. »Wo bewahrst du das Zeug auf?«, fragte er keuchend.
    Der Mann hob den Kopf und sah blinzelnd in das Licht.
    »Binde mich los«, hörte er ihn hinter der Maske stöhnen.
    »Wo ist die Kamera?«
    »Binde mich los.«
    »Wo sind die Filme, die du damit aufgenommen hast?«
    »Binde mich los, Drési, dann reden wir miteinander.«
    »Nein.«
    »Nimm mir die Fesseln ab.«
    »Halt die Schnauze!«
    Der Mann hustete röchelnd.
    »Nimm mir die Fesseln ab, und ich sage dir alles.«
    »Schnauze!«
    Er stand auf und suchte nach dem Hammer, wusste aber nicht mehr, wo er ihn hingelegt hatte. Auf der Suche nach dem Aufnahmegerät hatte er die Wohnung auf den Kopf gestellt, und das Chaos, in dem er jetzt versuchte sich zurechtzufinden, war unbeschreiblich. Auf einmal erinnerte er sich, dass er den Hammer zuletzt in der Küche in der Hand gehabt hatte. Er stieg über den ganzen Krempel, der dort

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