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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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herumlag, und endlich sah er den kurzen Stiel. Der Hammer war auf den Boden gefallen. Er hob ihn auf, nahm ihn mit ins Wohnzimmer und postierte sich vor dem Abschaum. Er hielt ihn fest am Kinn gepackt und drückte den Kopf so weit nach hinten, dass der Stift senkrecht hochstand.
    »Sag es mir!«, zischte er und hob den kurzstieligen Schlaghammer hoch.
    »Halt die Fresse!«, stieß der Mann unter der Maske hervor.
    Er ließ den Hammer niedergehen, aber kurz vor dem Stift bremste er den Hieb ab und tippte ihn nur ganz leicht an.
    »Sag es mir!«
    »Halt die Fresse, du armseliges Würstchen!«
    »Beim nächsten Mal ist er drin«, flüsterte er.
    Er hob den Hammer ein weiteres Mal und wollte ihn gerade wieder niedergehen lassen, als der Mann zu schreien begann.
    »Nicht, nein, warte … Tu mir nichts, tu das nicht …«
    »Was?«
    »Tu das nicht«, schluchzte der Mann. »Hör auf damit, lass mich frei. Lass mich frei!«
    »Dich freilassen?«
    »Lass mich los … Lass mich frei …«
    Die Worte kamen nur noch flüsternd.
    »Hör auf … Es reicht doch jetzt.«
    »Aufhören? Findest du echt, dass es reicht? Hab ich nicht auch genauso gewimmert? Erinnerst du dich vielleicht? Erinnerst du dich daran, als ich dich anflehte aufzuhören? Erinnerst du dich, du verfluchte Drecksau?«
    Er hatte die Hand mit dem Hammer gesenkt, aber jetzt erhob er sie wieder und ließ den Hammer mit aller Kraft niedergehen, nur wenige Millimeter neben dem Kopf des Mannes.
    Er beugte sich zu ihm herunter.
    »Sag mir, wo du das Zeug aufbewahrst, oder ich treibe dir das Ding ins Hirn.«

Sechzehn
    Patrekur war in seinem Büro und machte einen sehr beschäftigten Eindruck, als Sigurður Óli eintrat. Er arbeitete bei einem großen Ingenieurbüro, sein Spezialgebiet war Baustatik, vor allem im Zusammenhang mit Brückenbau und Staudämmen. Das Ingenieurbüro gehörte zu den namhaftesten in ganz Island, und Patrekur hatte eine leitende Position, als Vizegeschäftsführer des Unternehmens unterstanden ihm zahlreiche Mitarbeiter. Die Ingenieurbüros hatten von dem gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung, der Island erfasst hatte, vom Wachstum der Banken, von ausländischen Investitionen seitens Privatpersonen und Unternehmen, von dem extremen Bauboom im Hauptstadtbereich und dem Bau eines Kraftwerks und einer Aluminiumhütte im Osten Islands enorm profitiert. Über mangelnde Arbeit konnte sich Patrekur nicht beklagen. Es war früh am Morgen, er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, hielt ein Handy in der einen und einen Telefonhörer in der anderen Hand und las von einem der beiden Monitore auf seinem Schreibtisch Informationen ab. Sigurður Óli schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf das schwarze Ledersofa gegenüber dem Schreibtisch, schlug die Beine übereinander und wartete geduldig.
    Patrekur sah verwundert hoch, als Sigurður Óli in seinem Büro auftauchte und sich auf das Sofa setzte. Der eine Anrufer war rasch abgefertigt, doch bei dem anderen waren die Probleme offensichtlich etwas komplizierter gelagert. Sigurður Óli versuchte, dem Gespräch zu folgen, aber sein Interesse erlahmte, als es um die veranschlagte Menge von Armierungsmaterial und die ständig wachsenden Kosten ging.
    Patrekurs Büro legte Zeugnis davon ab, was für ein überaus beschäftigter Mann er war. Papierstapel bedeckten den Schreibtisch und die gesamte Fensterbank. Große Papprollen mit ausgeführten Entwürfen standen reihenweise auf dem Boden. Sein Sicherheitshelm hing an einem Haken. Auf dem Schreibtisch war kaum noch Platz für ein Foto von Súsanna und den drei Kindern.
    »Jetzt haben sie mich aufs Korn genommen«, erklärte Sigurður Óli, als Patrekur endlich das Gespräch beenden konnte. Im gleichen Augenblick klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch aber schon wieder. Patrekur nahm ab, legte den Hörer auf den Schreibtisch und unterbrach das Gespräch. Dann schaltete er sein Handy aus.
    »Wer?«, fragte er. »Weswegen? Wovon redest du?«
    »Meine Kollegen im Hauptdezernat. Ich konnte deinen Namen da nicht mehr heraushalten. Sie wissen jetzt von dir und von unserer Freundschaft.«
    »Von mir?! Wieso das denn?«
    »Sie gehen davon aus, dass du tiefer in der Sache drinsteckst, als du mir gesagt hast. Durch Línas Tod hat der Fall jetzt natürlich eine wesentlich ernstere Dimension bekommen. Strenggenommen dürfte ich eigentlich gar nicht hier sitzen und mit dir reden.«
    Patrekur sah Sigurður Óli lange an. »Du machst wohl Witze?«
    Sigurður Óli

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