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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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gelogen.«
    »Was?«
    »Dass ich ihm das Auto geliehen habe. Er hat den Wagen einfach genommen. Deswegen kam ich am nächsten Tag zu spät zur Arbeit. Ich musste ein Taxi nehmen, weil das Auto nicht auf dem Parkplatz stand. Er ist mein Bruder, und er ist ein verdammter Idiot.«
    Saras Bruder hieß Kristján, und ihren eigenen Worten zufolge hatte sie schon lange aufgehört, ihm ihr Auto zu leihen. Er hielt nie, was er versprach, und zweimal war ihm der Führerschein abgenommen worden. Manchmal hatte er einfach keinen Bock gehabt, den Wagen zurückzubringen, oder war nicht dazu imstande gewesen, und dann musste sie es selber irgendwo abholen.Dann stand der klapprige Micra irgendwo auf einem Parkplatz in der Innenstadt und sammelte Knöllchen. Deswegen weigerte sie sich inzwischen immer, ihm das Auto, Geld oder irgendetwas anderes zu leihen. Er hatte ihr Geld geklaut, und einmal sogar eine Kreditkarte, und Dinge aus ihrer Wohnung, die er verscherbelte, um an Drogen zu kommen. Er war immer in Schwierigkeiten, sie wusste aber nicht, warum. Er hatte keine schlechte Erziehung gehabt, genauso wenig wie sie. Ihre Eltern waren beide Lehrer. Sie waren fünf Geschwister, und vier kamen gut im Leben zurecht, nur er lehnte sich immer gegen alles und alle auf. An dem Abend, als er das Auto gestohlen hatte, war er zu Besuch gekommen, schien aber wie so oft irgendwie rastlos und hektisch zu sein und war nur kurz geblieben.
    Als sie am nächsten Morgen zur Arbeit wollte, fand sie die Autoschlüssel nicht, und das Auto war verschwunden.
    Sigurður Óli prüfte nach, ob dieser Kristján mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, aber im Strafregister war er nicht zu finden. Sara hatte ihm gesagt, dass sich Kristján ihrer Meinung nach in einer Kellerwohnung aufhielt, die ein Freund von ihm mietete. Kristján war immer noch bei seinen Eltern gemeldet, aber dort war er schon vor zwei Jahren ausgezogen. Er hatte keine feste Arbeit. Seine letzte Anstellung endete bereits nach einer Woche mit einem Rausschmiss. Der Supermarkt, bei dem er eingestellt worden war, hatte rund um die Uhr geöffnet, und Kristján hatte praktisch jeden Tag etwas aus dem Laden mitgehen lassen.
    Sigurður Óli fuhr zu dieser Kellerwohnung, die sich in einem Wohnblock in Breiðholt befand und einen separaten Eingang hatte. Als er an die Tür klopfte, rührte sich nichts. Daraufhin versuchte er es mit der Klingel, aber die war kaputt. Er spähte durch ein Fenster in die verwahrloste Wohnung hinein, sah aber nichts von Bedeutung, nur Bierdosen und anderen Krempel auf einem Tisch. Er ging zurück zum Eingang und hämmerte gegen die Tür. Zum Schluss trat er so heftig gegen sie, dass es dumpf widerhallte.
    Da endlich kam eine schmächtige Gestalt mit Haaren bis auf die Schultern und nur mit einer Unterhose bekleidet zur Tür, kalkweiß am ganzen Körper. Der junge Mann war ganz offensichtlich schwer verkatert.
    »Was geht hier eigentlich vor?«, fragte er und blinzelte Sigurður Óli aus schläfrigen Augen an.
    »Ich suche nach einem Kristján, bist du das?«
    »Ich? Nee.«
    »Weißt du, wo er ist?«
    »Was ist mit dem? Wieso …?«
    »Ist er bei dir?«
    »Nee.«
    »Erwartest du ihn?«
    »Nee, was ist los … Wer bist du überhaupt?«
    »Ich bin von der Kriminalpolizei und muss mit ihm reden. Weißt du, wo er sein könnte?«
    »Der kommt mir hier nicht mehr rein, das kann ich dir sagen. Schuldet mir ne Menge Kohle für die Miete und so was. Wenn du ihn siehst, kannst du ihm sagen, dass er gefälligst zahlen soll. Wieso bist du von der Kripo?«
    »Weißt du, wo er sein könnte?«, fragte Sigurður Óli, während er versuchte, in die Wohnung hineinzuschauen. Er glaubte kein Wort von dem, was dasschmächtige Kerlchen ihm sagte. Mit der Frage, wieso bist du von der Kripo, konnte er nichts anfangen und schenkte sich eine Antwort. Wahrscheinlich meinte der Kerl, was die Kriminalpolizei von Kristján wollte.
    »Probier’s mal im Schwarzen Zylinder, da hängt er oft rum«, sagte das Jüngelchen und grinste über den abgedroschenen Witz. »Ein hoffnungsloser Fall. Total hoffnungslos«, wiederholte er, wie um zu unterstreichen, dass das auf ihn nicht zutraf.
    Der Barkeeper im Schwarzen Zylinder kannte Kristján sehr wohl, aber er hatte ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Er ging davon aus, dass seine Schulden in der Bar ihn davon abhielten, dort aufzutauchen. Er grinste bei diesen Worten, so als ginge es ihn nichts an, wer dem Barbesitzer etwas schuldete. Es war kurz

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