Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
Vom Netzwerk:
wieder zu Geschwätz. Zum Schluss fand er aber einen Sender, der alte Rock-Klassiker spielte, und dabei blieb er eine Weile.
    Ein älterer Mann mit einer Tüte aus der Bäckerei in der Nähe betrat das Haus. Er beachtete die Zeitunggar nicht, aber beim Blick auf seine Tüte meldeten sich Hungergefühle bei Sigurður Óli. Die Bäckerei war ganz in der Nähe, wenn er ein paar Meter zurücksetzte, konnte er bereits das Schild sehen. Er taxierte seine Lage. Der Geruch von frisch Gebackenem kitzelte ihn förmlich in der Nase, und er wäre schon mit einem kleinen Hefeteilchen zufrieden gewesen. Auf der anderen Seite konnte aber der Zeitungsdieb das Exemplar genau in den paar Minuten seiner Abwesenheit mitgehen lassen. Ob da wohl eine Schlange in der Bäckerei ist?, dachte er und sah sehnsüchtig in die Richtung.
    Viel mehr passierte nicht bis kurz vor Mittag, als eine ältere Frau hinunter in den Eingangsbereich kam und durch die Glastür einen Blick nach draußen warf. Dann wandte sie sich den Briefkästen zu, schnappte sich ohne zu zögern die Zeitung und öffnete die Zwischentür zum Treppenhaus. Sigurður Óli, der völlig ausgehungert war und sich mit einem Kreuzworträtsel ablenkte, warf die Zeitung auf den Nebensitz, sprang aus dem Auto und stürmte zum Eingang. Er bekam seinen Fuß zwischen die Tür, bevor sie ins Schloss fiel, und griff die Frau, die bereits zwei Stufen der Treppe erklommen hatte, am Arm.
    »Was machst du mit der Zeitung?«, fragte er schroff.
    Sie sah ihn schockiert an. »Lass mich los«, sagte sie. »Meine Zeitung bekommst du nicht, du Dieb!«, sagte sie mit schwacher Stimme.
    »Ich bin kein Dieb«, sagte Sigurður Óli, »ich bin von der Polizei. Weshalb stiehlst du Guðmundas Zeitung?«
    Der Gesichtsausdruck der Frau entspannte sich. »Bist du der Sohn von Gagga?«, fragte sie.
    »Ja«, antwortete Sigurður Óli perplex.
    »Ich bin Guðmunda, mein Lieber.«
    Sigurður Óli ließ die Frau los. »Hat Gagga nicht mit dir gesprochen? Ich bin hier, um auf deine Zeitung aufzupassen.«
    »Ja, natürlich, aber ich wollte sie jetzt endlich lesen.«
    »Aber du kannst sie nicht lesen, solange ich sie bewache.«
    »Doch«, sagte Guðmunda und stieg die Treppe hoch, »da hast du eben Pech gehabt. Schöne Grüße an deine Mutter, mein Lieber.«
    Sigurður Óli berichtete seiner Mutter von dieser Begegnung, als er sich kurze Zeit später bei ihr an den Tisch setzte. Heißhungrig verschlang er das Mittagessen, das sie ihm vorsetzte, und erklärte anschließend, er würde auf keinen Fall noch einmal einem Zeitungsdieb auflauern, diesen Schwachsinn würde er nicht länger mitmachen.
    Gagga schien sich über das Missgeschick ihres Sohnes zu amüsieren. Sie stand hinter ihm und versuchte angestrengt, ein Lachen zu unterdrücken und fragte ihn, ob er einen Nachschlag wolle, wobei sie sich über den Appetit ihres Sohnes wunderte.
    Zum Schluss servierte sie Kaffee und fragte, ob sein Vater mit ihm gesprochen hatte. Sigurður Óli erzählte ihr von seinem Besuch im Hauptdezernat, bei dem sein Vater ihm gesagt hatte, wie es um ihn stand.
    »War er nicht ziemlich deprimiert deswegen?«, fragte seine Mutter und setzte sich zu ihm an den Küchentisch. »Er hat mich auch angerufen, um mir das mitzuteilen, und er klang nicht so munter wie sonst.«
    »Er lässt sich nichts anmerken«, entgegnete Sigurður Óli. »Ich werde ihn nachher im Krankenhaus besuchen,er kommt morgen unters Messer. Er hat gesagt, ich solle mich ebenfalls untersuchen lassen, weil ich zur Risikogruppe gehöre.«
    »Das solltest du auch unbedingt tun«, erklärte Gagga. »Er hat auch mit mir darüber gesprochen. Zögere es bloß nicht hinaus.«
    Während Sigurður Óli seinen Kaffee trank, dachte er über seinen Vater und seine Mutter und deren frühere Beziehung nach, als sie noch zusammenlebten. Er erinnerte sich, Gespräche zwischen ihnen belauscht zu haben, in denen es um ihn ging. Seinetwegen konnten sie sich nicht scheiden lassen, hatte sein Vater gesagt. Gagga hingegen war der Meinung, ganz gut allein für ihren Sohn sorgen zu können. Sein Vater hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um die Scheidung zu verhindern, aber vergeblich. Zum Schluss zog er aus der Wohnung aus, eine Reisetasche mit seinen Sachen und ein alter Überseekoffer, ein Schreibtisch sowie seine Bilder und Bücher und einiges andere wurden in einem kleinen Lieferwagen auf dem Parkplatz vor dem Haus verstaut. Gagga hielt sich an dem Tag von zu Hause fern. Vater und Sohn

Weitere Kostenlose Bücher