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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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derzeit aufhielt, ob er tatsächlich diesen Rögnvaldur aufgespürt hatte und was das für Konsequenzen haben könnte.
    Er vergegenwärtigte sich noch einmal das Gespräch mit ihm. Andrés hatte über seine Mutter gesprochen und zum Schluss etwas über einen Stift gesagt, der nicht dicker wäre als eine Ein-Kronen-Münze. Darüber, dass er Rögnvaldur verabscheute. Und dass Sigurður Óli wissen sollte, dass es nicht alles seine Schuld war, wie auch immer es ausginge.
    Aus irgendwelchen Gründen war es ihm anscheinend wichtig, dass die Polizei das wusste.

Einunddreißig
    Patrekur wirkte verlegen, als Sigurður Óli das Café betrat und sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. Es war dasselbe Café, in dem sie sich zu dem ersten Gespräch getroffen hatten. Aber diesmal war dort wesentlich mehr los, und ihnen wurde schnell klar, dass der Treffpunkt nicht gut gewählt war, weil sie sich dort nicht in Ruhe unterhalten konnten. Also beschlossen sie einen Ortswechsel. Sie waren im Stadtzentrum und schlugen den Weg zum Hafen ein, vorbei am ehemaligen Direktionsgebäude von Eimskip, der isländischen Dampfschifffahrtsgesellschaft. Sie überquerten die Tryggvagata, dann die vierspurige Sæbraut und befanden sich schließlich im östlichen Teil des Hafens, wo ein riesiges Konzert-und Konferenzcenter entstehen sollte. Unterwegs hatten sie meist geschwiegen, das Bauvorhaben lieferte ihnen jetzt einen neutralen Gesprächsstoff.
    »Wir sind in der Planungsphase«, sagte Patrekur. Er blieb stehen und blickte über das Gelände, das für den Gebäudekomplex vorgesehen war. »Ich weiß gar nicht, ob den Leuten wirklich klar ist, von was für Größenordnungen wir hier sprechen. Was für ein Ungetüm hier hingepflanzt wird.«
    »Und das alles für die paar tausend lächerlichen Gestalten, die hierzulande Musikveranstaltungen besuchen?«, fragte Sigurður Óli, der seine liebe Mühe damit hatte, das Wort Sinfonie korrekt zu buchstabieren.
    »Keine Ahnung, ehrlich gesagt.«
    Sie hatten es bislang vermieden, auf Patrekurs Lüge zu sprechen zu kommen. Sigurður Óli wollte abwarten, was Patrekur von sich aus dazu sagen würde, und wahrscheinlich gingen Patrekurs Gedanken in die gleiche Richtung. Also redeten sie weiter über die überdimensionale Konzerthalle. Patrekur war der Meinung, sie sei ein gutes Beispiel für den absurden Größenwahn einer winzigen Nation. Sigurður Óli kam es fast so vor, als schlummerte immer noch etwas von dem Menschen in ihm, der zu Gymnasialzeiten von liberalen zu revolutionären Ansichten umgeschwenkt war.
    »Ich glaube, diese Finanzfritzen ticken allmählich durch«, erklärte er.
    »Und was ist mit dir?«, fragte Sigurður Óli. »Bist du nicht auch durchgetickt?«
    Da Patrekur es vorzog, nicht auf diese Frage zu antworten, verging einige Zeit mit Schweigen.
    »Hast du etwas von Hermann gehört?«, fragte Sigurður Óli.
    »Nein«, antwortete Patrekur.
    Sigurður Óli hatte die Vernehmungsprotokolle ausgedruckt und durchgelesen. Hermann und Patrekur hielten sich an das, was sie ihm bereits erzählt hatten. Es war zu erwarten, dass Finnur sie sich noch einmal vorknöpfen würde. Patrekur hatte rundheraus abgestritten, Lína gekannt oder irgendetwas mit ihr zu tun gehabt zu haben. Beide sagten aus, keinen Lieferwagenfahrer namens Þórarinn zu kennen und behaupteten, nichts mit dem Überfall auf Lína zu tun zu haben.
    »Was hat es mit deiner Bekanntschaft mit dieser Lína auf sich?«, fragte Sigurður Óli.
    »Ich hatte gehofft, du würdest das unter den Tisch fallen lassen«, antwortete Patrekur. »Ich hatte vor, dir die Wahrheit zu sagen, wenn alles ausgestanden war. Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber so hatte ich mir das vorgestellt.«
    »Beantworte einfach nur meine Fragen«, sagte Sigurður Óli. »Wir waren das doch alles genau durchgegangen? Und jetzt bitte keine Ausflüchte mehr.«
    »Ich fühle mich mies, weil ich dich angelogen habe.«
    »Komm zur Sache.«
    »Ich hab vor einem Jahr an dieser Gletschertour teilgenommen«, sagte Patrekur. »Die wurde für ausländische Kunden unserer Firma arrangiert. Es waren drei Gruppen, eine bestand aus Mitarbeitern von unserer Firma, in einer waren Leute aus Línas Betrieb, und dann noch irgendwelche Banker. Línas Mann war für die Organisation und die Durchführung verantwortlich. Es war so eine typische Incentive-Tour für ausländische Gäste, wilde isländische Natur, ewiges Eis und viel Alkohol. Wir sind auf den Vatnajökull raufgefahren

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