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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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solltest dafür sorgen, dass das Problem vorher vom Tisch war. Die beiden haben sich total hirnrissig aufgeführt, die haben alles Mögliche angedroht, die Klatschblätter, das Internet. Es sah ganz so aus, als sei Hermann irgendwelchen Wahnsinnigen in die Klauen geraten. Ich wollte nichts damit zu tun haben, und es wäre mir nie im Leben eingefallen, mit den beiden zu reden. Ich ging davon aus, dass du genau der richtige Mann wärst, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und sie dazu zu bringen, mit dem Scheiß aufzuhören, ihnen ordentlich Druck zu machen, so wie wir es besprochen hatten. Du hättest das bestimmt geschafft. Die beiden waren zwar unverschämt, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass sie eigentlich ganz leicht von diesem Irrsinn abzubringen sein würden.«
    »Sind sie wirklich so hoch verschuldet? Weißt du etwas darüber?«
    »Hermann ist sich ganz sicher, er glaubt, dass sie deswegen so weit gegangen sind. Und sie haben nicht unbedingt nur bei den Banken Schulden, bei denen stehen sie wahrscheinlich schon auf einer schwarzen Liste. Es geht wohl auch um Drogen, und Hermann ist sich ziemlich sicher, dass sie Schulden bei Leuten haben, die mit so etwas dealen. Und dass sie deswegen überfallen wurde.«
    »Weißt du ganz sicher, dass sie User waren?«
    »Hermann hat mir erzählt, dass sie ihnen Ecstasy und Amphetamin angeboten haben. Anscheinend hatten sie genug von dem Zeug auf Lager.«
    »Wusste er, woher sie das bekamen?«
    »Nein, danach hat er sie nicht gefragt«, sagte Patrekur.
    »Du hast Lína seit diesem Vorfall nicht mehr getroffen?«
    »Nein. Oder ja, sie hat mich einmal bei der Arbeit angerufen. Wollte wissen, wie es mir so ginge. Wir haben eine Weile miteinander geredet, und dann habe ich deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht wieder anrufen solle. Das Ganze sei ein Fehler gewesen, und ich würde sie nicht wiedersehen wollen.«
    »Aber sie wollte dich wiedersehen?«
    »Ja.«
    »Und du hast abgelehnt?«
    »Ja.«
    »Weiß Ebbi, dass ihr miteinander geschlafen habt?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Patrekur. »Zumindest gehe ich nicht davon aus. Angesichts ihrer Lebensweise kann es allerdings gut sein, dass sie ihm davon erzählt hat. Darüber weiß ich aber nichts.«
    Sie schwiegen beide und sahen auf die alten Lagerhäuser am Faxi-Kai, mit deren Abriss man bereits begonnen hatte, um Platz für die große Konzerthalle zu schaffen. Sigurður Óli meinte sich an die kritische Stimme eines Wirtschaftsexperten in der Zeitung zu erinnern, der sich über diesen Größenwahn mokierte und behauptete, dieses überdimensionale Gebäude sei der Traum von Neureichen, die mit diesem Monument dokumentieren wollten, was für Finanzgenies die Isländer seien. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand der kantige Klotz der Notenbank wie eine Felsbastion, von außen mit pechschwarzem und bleischwerem Gabbro aus den Ostfjorden verkleidet.
    »Ich hätte dir das mit Lína sofort sagen sollen«, seufzte Patrekur. »Ich hatte die ganze Zeit eine Scheißangst, dass du es rausfinden würdest. Ich möchte unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen, und ich hoffe, dass das nicht der Fall ist.«
    Sigurður Óli antwortete nicht darauf. Sie standen schweigend am Hafen und beobachteten das rege Treiben. Sigurður Óli dachte an Ebbi und Lína, an Drohungen, Erpressung, Geldeintreiber, Gletscherfahrten, Anlageberater. An seinen Kollegen Finnur und diesen Versager Pétur, der in der Nähe des Hauptdezernats brutal zusammengeschlagen worden war. An Bergþóraund ihr letztes Telefongespräch, an seinen Vater im Krankenhaus.
    »Wirst du Súsanna davon erzählen?«, fragte er schließlich.
    »Das habe ich bereits getan«, sagte Patrekur. »Ich hielt es einfach nicht mehr aus und habe ihr alles gestanden.«
    »Und?«
    »Ich weiß es nicht. Sie braucht Zeit zum Nachdenken. Sie war natürlich wütend, oder besser, sie ist völlig ausgerastet. Ihrer Meinung nach sind alle total übergeschnappt, jeder vögelt mit jedem.«
    »Vielleicht hat es etwas mit dem Wirtschaftsboom zu tun«, sagte Sigurður Óli. Er sah seinen Freund an. »Hast du Lína etwas angetan, Patrekur?«
    »Nein, nichts.«
    »Du hast sie nicht zum Schweigen bringen wollen?«
    »Nein. Ich soll sie umgebracht haben? Du bist wohl wahnsinnig! Ich habe nichts damit zu tun, nicht das Allergeringste. So liegt die Sache wirklich nicht.«
    »Und Hermann?«
    »Nein, das glaube ich nicht, auf keinen Fall. Aber du musst ihn natürlich selber fragen.

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