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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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geklettert war. Auf der Straße war er beinahe von einem Auto überfahren worden. Und er erinnerte sich an den Polizisten, der telefoniert hatte.
    Er war unschlüssig, ob er ihn noch einmal anrufen und sich ein weiteres Mal mit ihm verabreden sollte. Er war sich ziemlich sicher, dass er ihm bereits ein kleines Stück von dem Film geschickt hatte. Es waren zwei Filme gewesen, soweit er sich erinnerte. Mehr hatte er nicht gefunden, obwohl er die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, Wände aufgebrochen und Bodenbretter hochgestemmt hatte.
    Die zwei Filme hatte er gefunden, aber es hatte lange gedauert, bis er den Versuch gemacht hatte, sie sich anzusehen, und dabei hatte sich herausgestellt, dass es zu viel für ihn war. Als er den Filmstreifen eingelegt hatte, ließ er ihn durchlaufen, und dann tauchte das Bild an der weißen Wand auf. Er sah den Jungen, der er selber war, und er erinnerte sich an alles, was geschehen war, als der Film aufgenommen wurde. Er hatte Probleme damit, die letzten vierundzwanzig Stunden zu rekapitulieren, aber die Ereignisse, die so viele Jahrzehnte zurücklagen, vergaß er nie. Er schaltete das Vorführgerät sofort wieder aus und holte den Film heraus. Irgendwo in dem ganzen Krempel fand er eine Schere, schnitt einStück von dem Film ab und steckte ihn in eine Plastiktüte, die auf dem Boden lag.
    Er wollte nicht, dass jemand diese Bilder sah. Sie waren sein Geheimnis. Deswegen warf er die Rollen in die Spüle in der Küche und zündete sie an, sah zu, wie sie verbrannten. Es qualmte und stank fürchterlich, was einem bei einem derartigen Unrat auch nicht verwundern konnte. Er öffnete das Fenster in der Küche und ein anderes im Wohnzimmer, um den Gestank und den Rauch abziehen zu lassen. Er achtete darauf, dass alles bis auf das kleinste Schnipselchen vernichtet wurde, und zum Schluss ließ er Wasser laufen und spülte die Reste in den Abfluss.
    Das war also weg. Das war also erledigt.
    Er trank wieder einen Schluck und leerte die Flasche beinahe vollständig. Er musste unbedingt wieder zum Alkoholladen.
    Und er musste unbedingt wieder mit dem Polizisten reden und ihm gegenüber reinen Tisch machen.
    Nicht die Flucht ergreifen.
    Diesmal nicht die Flucht ergreifen.

Sechsunddreißig
    Ebeneser reagierte nicht, als Sigurður Óli die Klingel betätigte und anschließend gegen die Tür hämmerte. Sigurður Óli versuchte es auch mit Rufen, aber nichts half. Ebenesers Jeep stand vor dem Haus, und er war sich sicher, dass Ebeneser zu Hause war. Er versuchte, durch die Fenster etwas zu erkennen, warf zunächst einen Blick in die Küche und sah, dass dort dringend sauber gemacht werden musste. Dann ging er hinters Haus und spähte durch die Scheibe ins Wohnzimmer. Nach einiger Zeit konnte er einen Fuß ausmachen, der unter einer Wolldecke hervorschaute, der Kopf steckte unter der Decke. Er trommelte so heftig gegen die Scheibe, dass es dumpf widerhallte. Ebeneser bewegte sich zwar, aber nur, um sich auf die andere Seite zu wälzen. Der Wohnzimmertisch war übersät mit Bierdosen und Schnapsflaschen. Ebbi hatte wohl sein Elend im Alkohol ertränkt.
    Sigurður Óli schlug ein weiteres Mal gegen die Scheibe und schrie Ebenesers Namen, der ganz allmählich zu Bewusstsein zu kommen schien. Er brauchte aber geraume Zeit, um sich darüber klar zu werden, woher der Krach kam. Dann sah er den lästigen Bullen vor dem Wohnzimmerfenster. Er setzte sich auf und versuchte, die Orientierung wiederzugewinnen. SigurðurÓli ging wieder in den Vorgarten und wartete vor der Haustür, aber nichts geschah. Hatte Ebeneser sich vielleicht wieder schlafen gelegt? Ungeduldig klingelte er erneut und hämmerte gegen die Tür.
    Nach einiger Zeit öffnete sie sich, und ein reichlich angeschlagener Ebbi erschien.
    »Was soll denn das Theater?«, fragte er mit heiserer Stimme.
    »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich einen Augenblick störe?«, fragte Sigurður Óli. »Es dauert nicht lange.«
    Ebeneser sah ihn an und kniff die Augen zusammen. Es war immer noch hell draußen, obwohl der Tag sich bereits dem Ende zuneigte. Er blickte auf seine Uhr, sah Sigurður Óli an und trat einen Schritt zur Seite. Sigurður Óli folgte ihm ins Wohnzimmer, wo sie Platz nahmen.
    »Entschuldige das Chaos hier«, sagte Ebeneser. »Ich bin nicht …«
    Er suchte krampfhaft nach einer Ausrede für die Unordnung und seinen eigenen Zustand, aber da ihm nichts einfiel, gab er den Versuch auf.
    »Ich habe in den Nachrichten gesehen, dass ihr den

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