Abgründe
Kerl geschnappt habt«, sagte er.
»Ja, wir haben den Täter gefunden«, antwortete Sigurður Óli. »Er hat auch sein Motiv genannt, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann man nicht wissen, was davon wahr und was gelogen ist. Deswegen benötige ich weitere Informationen.«
»Was für ein Motiv?«
»Das Motiv dafür, dass er Lína attackiert hat«, sagte Sigurður Óli.
»Und was für ein Mensch ist das?« Ebeneser war anscheinend immer noch nicht wieder völlig bei sich.
»Er heißt Þórarinn. Wir wissen, dass er über Lína hergefallen ist.«
»Sie kannte keinen Þórarinn«, sagte Ebbi. Er griff nach einer Bierdose und schüttelte sie, um zu sehen, ob noch ein Schluck drin war. Sie war leer.
»Nein. Sie kannten sich nicht.«
Sigurður Óli war darauf bedacht, Ebeneser nicht zu viel über den Stand der Ermittlungen zu sagen. Er teilte ihm den Sachverhalt in knappen Worten mit und informierte ihn darüber, unter welchen Umständen man Þórarinn gefunden hatte. Dann kam er auf sein Anliegen zurück, jetzt, nachdem die Vernehmungen liefen, noch einmal einige Punkte durchzugehen. Ebeneser hörte ihm offensichtlich nicht zu.
»Aber vielleicht brauchst du ja noch etwas Zeit, um dich wieder zu fangen«, sagte Sigurður Óli.
»Nein«, sagte Ebbi, »es ist schon in Ordnung.«
»Es dauert auch nicht lange«, sagte Sigurður Óli und hoffte, dass er nicht zu viel versprach.
Ebeneser sah mitgenommen und müde aus. Seine Apathie und Mattigkeit gingen aber wohl auch auf andere Ursachen zurück als nur auf einen gewöhnlichen Kater. Sigurður Óli kam es beinahe so vor, als hätte er ihn falsch eingeschätzt, als hätte Línas Tod Ebbi wesentlich tiefer getroffen, als er angenommen hatte. Er nahm sich vor, einfühlsam und rücksichtsvoll zu sein, was nicht zu seinen stärksten Seiten gehörte. Außerdem war dieser Mann ihm unsympathisch, und er erinnerte sich nur allzu deutlich an Patrekurs Worte, dass Ebbi und Lína sich total hirnrissig aufgeführt hatten, als siedamit drohten, alles in Klatschblättern und im Internet zu veröffentlichen.
»Was für einen Grund hat dieser Kerl genannt, den ihr festgenommen habt?«, fragte Ebeneser.
»Drogenschulden«, sagte Sigurður Óli. »Ich weiß auch aus anderen Quellen, dass es um Stoff geht. Ihr beide, du und Lína, habt Rauschgift genommen. Drogenschulden sind für uns eine relativ wahrscheinliche Erklärung.«
Ebeneser blickte Sigurður Óli lange ins Gesicht, ohne etwas zu sagen.
»Wir schulden niemandem etwas«, sagte er nach einiger Zeit.
»Þórarinn dealt nicht nur, sondern er treibt auch das Geld ein. Trotzdem ist er kaum mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Er ist überaus vorsichtig und tarnt sich mit einen Job als Lieferwagenfahrer. Was für einen anderen Grund könnte dieser Mann gehabt haben, über Lína herzufallen, als dass ihr bei ihm ganz schön in der Kreide gestanden habt? Kannst du mir das sagen?«
Ebeneser schwieg lange und schien über die Frage nachzudenken.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich … Lína und ich haben Drogen konsumiert, das will ich gar nicht abstreiten. Aber wir haben beide geschuftet wie verrückt, und wir konnten uns das leisten. Diesen Þórarinn kenne ich überhaupt nicht, und Lína auch nicht, soweit ich weiß. Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung, weshalb er über Lína hergefallen ist.«
»In Ordnung«, sagte Sigurður Óli. »Wenn es also nicht Drogen waren, sondern irgendwas anderes, was könnte das sein? Was habt ihr beide sonst noch gemacht, abgesehen von Rauschgiftkonsum und Erpressung?«
Ebeneser gab ihm keine Antwort darauf.
»Es ist doch ganz offensichtlich, dass ihr irgendjemanden maßlos provoziert habt. Wer könnte das sein?«
Immer noch schwieg Ebbi.
»Vor was fürchtest du dich? Vor wem hast du Angst? Habt ihr noch andere Leute zu erpressen versucht?«
»Also diese Aufnahmen, die wir gemacht haben«, sagte Ebeneser schließlich nach langem Überlegen. »So was haben wir noch nie gemacht, es war auch das erste und einzige Mal. Lína wollte das einfach mal ausprobieren, um zu sehen, was dabei herauskäme. Sie sagte, falls es klappte, würde für uns ein bisschen Geld herausspringen. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich will jetzt nicht versuchen, das auf sie abzuschieben, aber sie hatte die Idee, und sie war viel entschlossener als ich. Aber wir haben gar nichts unternommen, wir haben die ganze Zeit nichts mit den Aufnahmen gemacht, bis neulich, als Lína sie im Fernsehen gesehen hat.«
»Die
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