Abgründe
auftauchte.
»Er ist verschwunden. Hat er dir noch etwas gesagt?«
»Nein, nichts. Der arme Mann. Er war verdreckt und hat fürchterlich gestunken, er sah völlig heruntergekommen aus. So schlimm habe ich es noch nie erlebt.«
»Hast du eine Idee, wo er hingegangen sein könnte?«
»Nein. Ich habe ihn gefragt, aber er hat nicht darauf geantwortet. Er hat gar nichts gesagt, sondern ist nur ganz eilig die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße.«
»Hatte er irgendetwas dabei, als er die Wohnung verließ?«
»Nein, nichts.«
»Hat er dir gegenüber jemals einen Rögnvaldur erwähnt?«
»Rögnvaldur? Nein, nicht, dass ich wüsste. Ist das ein Freund von ihm?«
»Nein«, sagte Sigurður Óli. »Er hat wohl keine Freunde.«
Margrét öffnete ein weiteres Mal die Tür zu Andrés’ Wohnung für ihn, in der es noch genauso aussah wie das letzte Mal. Margrét blieb an der Tür stehen, während Sigurður Óli sich rasch in der Wohnung umblickte. Anscheinend war Andrés wohl eigens zu dem Zweck in seine Wohnung gegangen, um Sigurður Óli anzurufen und ihm zu sagen, dass Rögnvaldur in seinen Händen war, was auch immer das bedeutete.
Sigurður Ólis Handy meldete sich. Es war ein Kollege vom Rauschgiftdezernat. »Ich habe gehört, dass du Hörður Vagnsson festgenommen hast«, sagte der Kollege am Telefon.
»Höddi? Ja. Was ist mit ihm?«
»Dem sind wir schon seit geraumer Zeit auf den Fersen, aber bislang ist noch nichts dabei herausgekommen. Vor Kurzem haben wir sein Telefon abgehört, und ich dachte, das würde dich vielleicht interessieren.«
»Gibt es die Aufzeichnungen schon in schriftlicher Form?«
»Ja, ich lege sie dir auf den Schreibtisch.«
»Könnt ihr ihm damit etwas nachweisen?«
»Irgendwann schaffen wir das schon. Es sei denn, du wärst uns zuvorgekommen? Eines solltest du über diesen Höddi aber wissen, der gute Junge ist reichlich unterbelichtet.«
Sigurður Óli hörte ein Klicken am anderen Ende der Leitung.
»Habt ihr vielleicht auch seinen Freund Þórarinn unter die Lupe genommen?«
»Toggi?«
»Ja.«
»Von ihm kennen wir nur den Namen. Er hat sich sehr bedeckt gehalten, falls er tatsächlich ein Dealer ist. Wir können uns nicht vorstellen, dass er das schon über längere Zeit macht. Auf jeden Fall hätte er dann mehr Grips im Kopf als Höddi.«
Sigurður Óli hatte das Hauptgebäude dieser Bank noch nie betreten und war fasziniert von dem, was er sah. Wohin man blickte, Reichtum und Luxus. Es war, als befände er sich mitten in Reykjavík in einer völlig anderen Welt. Er fand das Design beeindruckend, Glas und Stahl und dunkles Holz, klare klassische Linien und exotische Pflanzen. Hier war wirklich nicht gekleckert, sondern geklotzt worden, alles vom Teuersten und Feinsten. Es dauerte eine Weile, bis er etwas ausgemacht hatte, was wie eine Rezeption aussah. Dort versuchte ein älterer Herr, eine Rechnung zu bezahlen.
»Hier kannst du das nicht bezahlen«, erklärte die Dame an der Empfangstheke, die so etwas wie eine kleine Insel inmitten all dieser Pracht war.
»Wieso denn nicht?«, fragte der Mann. »Ist das hier denn keine Bank?«
»Doch, aber mit dieser Rechnung musst du in eine von unseren Filialen gehen.«
»Wieso kann ich hier keine Rechnung bezahlen?«, moserte der Mann.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte die Dame undsah Sigurður Óli an. Anscheinend hatte sie keine Lust mehr, sich mit dem Mann abzugeben.
»Sverrir aus der Großkundenabteilung, ist er im Haus?«
Die Frau gab seinen Namen in den Computer ein.
»Tut mir leid, er ist im Augenblick nicht im Haus, wird aber in ungefähr zwei Stunden zurück sein.«
»Und Knútur?«, fragte Sigurður Óli. »Knútur Jónsson? In derselben Abteilung?«
»Erwartet er dich?«, fragte die Frau in leicht singendem Tonfall.
»Nein.«
»Und wo ist die nächste Filiale?«, fragte der ältere Herr, der immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben hatte, seine Rechnung bezahlen zu können.
»Am Laugavegur«, antwortete die Frau, ohne ihn anzusehen.
»Knútur ist in einer Besprechung. Möchtest du warten? Was soll ich ihm sagen, wer ihn sprechen möchte? Geht es um Unternehmensberatung?«
Sigurður Óli beschloss, nur die letzte Frage zu beantworten, und bejahte sie. Er sah dem älteren Herrn nach, der soeben mit der Rechnung in der Hand das Gebäude durch die imposante Glastür verließ.
»Dritter Stock«, sagte die Frau. »Der Aufzug ist da vorne.«
Sigurður Óli hatte etwa eine Viertelstunde im dritten Stock
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