Abgründe
lebenslänglich verknacken lassen? Wegen so einem bisschen Stoff?«
»Ich kapier nicht, was du sagst.«
»Wegen ein paar lumpigen Kröten für Stoff?«
»Was …? Du meinst, da steckt was anderes dahinter? Meinst du das?«
Die Frage klang ehrlich. Þórarinns Rechtsanwalt, der ebenfalls anwesend war, richtete sich auf.
»Alle möglichen Umstände könnten zu deinen Gunsten angeführt werden«, erklärte Finnur.
»Falls du, sagen wir mal, im Auftrag von jemand anderem gehandelt hättest, falls du nur ein Werkzeug gewesen wärst«, mischte sich Sigurður Óli ein. »Wenn du selber nichts mit der eigentlichen Sache zu tun hast. Keine direkte Verbindung dazu hast und keine persönlichen Interessen.«
Sigurður Óli versuchte, es möglichst positiv auszudrücken. Er war sich überhaupt nicht sicher, ob das, was er gesagt hatte, nicht jeglicher Grundlage entbehrte.
»Und vor Gericht könnten wir die Sache so darstellen, dass du kooperativ gewesen bist«, fuhr er fort. »Das würde dir möglicherweise zugutekommen.«
»Kooperativ?«
»Uns geht es nur darum, den Fall aufzuklären. Die Frage ist, was du beabsichtigst. Zu welchem Urteil sollen wir deiner Meinung nach kommen? Diesen Blödsinn über Notwehr kannst du dir jedenfalls schenken. Du warst am Tatort. Du hast den Tod von Lína herbeigeführt. Das wissen wir, das wissen alle. Uns fehlt einzig und allein das Motiv. Der wahre Grund dafür, weshalb du in Línas Haus warst. Wenn wir den Fall danach beurteilen, was du uns erzählt hast, bedeutet das sechzehn Jahre Knast für dich, bei guter Führung vielleicht auch nur zehn. Und das wegen Schulden, die sich wohl kaum auf mehr als hundert-oder zweihunderttausend belaufen dürften.«
Sigurður Óli hatte erreicht, dass Þórarinn aufmerksam zuhörte.
»Vielleicht ist es nachzuvollziehen, dass du die Kontrolle über dich verloren hast und zu fest zugeschlagen hast, dass du sie nur verletzen, aber nicht töten wolltest, verstehst du? Es macht ja auch keinen Sinn, sie umzubringen. Tote bezahlen nicht, und du würdest nicht nur dein Geld nicht zurückbekommen, sondern dich in eine wesentlich schlimmere Lage bringen. Wie unten in der Grube bei Birgir. Aber vielleicht gibt es ja auch noch eine andere Möglichkeit. Nehmen wir mal an, dass dich jemand zu Lína geschickt und darum gebeten hat, ihr ordentlich eins überzuziehen. Und du hast dann etwas zu fest zugeschlagen. In dem Fall liegt die Verantwortung bei dem, der dich geschickt hat. Möglicherweise hat erdir aber auch den Auftrag gegeben, sie zu beseitigen. Wenn das der Fall ist, läuft derjenige all die Jahre frei herum, die du im Knast verbringst. Findest du das in Ordnung?«
Þórarinn hörte immer noch aufmerksam zu.
»Und dann gibt’s natürlich auch noch eine ganz simple Erklärung«, fuhr Sigurður Óli fort. »Dass du zu ihr gegangen bist, um sie umzubringen, und zwar nicht wegen irgendwelcher Drogenschulden oder für jemanden, der dich geschickt hat, sondern aus einem anderen Grund, den du für dich behalten willst. Das ist auch sehr gut möglich, du verstehst, was ich meine, dass du nur aus einem Grund zu ihr nach Hause gegangen bist, um sie umzubringen, und dass du gerade zum letzten Hieb ausgeholt hast, als du gestört wurdest. Ich finde das gar nicht so unwahrscheinlich, so wie du weggerannt bist. Und nicht zuletzt auch wegen der Tatsache, dass du alles getan hast, um deine Spur zu verwischen, als du zu ihr gefahren bist. Das lässt darauf schließen, dass das alles sorgfältig durchgeplant und von vornherein beschlossene Sache war. Es war dein fester Vorsatz, Lína umzubringen.«
Es war ein reichlich langer Vortrag gewesen, und es war keineswegs sicher, ob Þórarinn alles kapiert hatte, was Sigurður Óli gesagt und angedeutet hatte. Wie er versucht hatte, neue Wege aufzuzeigen und andere auszuschließen. Außerdem wusste Sigurður Óli sehr genau, dass alles, was er gesagt hatte, nur auf vagen Verdachtsmomenten beruhte. Aber er hatte sich nun mal dazu entschlossen, die Karten auf den Tisch zu legen und die Reaktion abzuwarten. Einiges von dem, was er gesagt hatte, musste in Þórarinns Ohren völlig absurdklingen, aber anderes konnte möglicherweise ein Gespräch in Gang bringen, so hoffte jedenfalls Sigurður Óli.
»Bist du der Meinung, dass es deine Aufgabe ist, solche absurden Vorträge zu halten?«, fragte Þórarinns Rechtsanwalt, ein korpulenter Mann mit schläfrig wirkenden Augen.
»Soweit ich weiß, hat niemand mit dir gesprochen«,
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