Abgründig (German Edition)
wie sehr er fror. Sein Blick fiel auf Fabian. Erschrocken stellte er fest, dass der Vierzehnjährige sogar noch schlimmer aussah als zuvor. Er war leichenblass und die Haare klebten ihm in der Stirn. Er war nicht draußen gewesen, also konnte das nicht vom Regen stammen. Der Anblick war so elend, dass er Tim ehrlich leidtat.
»Was ist mit dir, Fabian?«, fragte er.
Fabian hustete mehrmals hintereinander. Es hörte sich trocken an. »Schätze, die nassen Klamotten sind mir nicht bekommen. Ich bin da etwas empfindlich. Fieber und so.«
Jenny, die Fabian am nächsten stand, ging zu ihm. Als sie sich hinabbeugte und ihm die flache Hand auf die Stirn legte, riss sie die Augen auf und sagte: »Ach du meine Güte, du glühst ja!«
»Ich weiß. Mir geht’s auch nicht so gut.«
Da tauchte plötzlich Denis auf und ging zu Fabian. In der Hand hatte er eine Wasserflasche, und Tim fragte sich, wem sie wohl gehörte. Denis selbst hatte keine mitgenommen. Neben Fabian ließ er sich auf den Boden sinken und hielt dem Vierzehnjährigen die Flasche hin. »Hier, du musst viel trinken.« Fabian sah ihn dankbar an und nahm das Wasser entgegen.
»Hey, ist das nicht meine Flasche?«, rief Sebastian empört.
Doch Denis winkte ab, ohne ihn auch nur anzusehen. »Stell dich nicht an, da draußen gibt’s Wasser genug.«
»Also wie war das nun letzte Nacht?«, wollte Janik von Sebastian wissen.
Eine Weile war nur das Tosen und Jaulen des Sturms zu hören, dann atmete Sebastian geräuschvoll aus. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich war ziemlich betrunken und hab mich zum Schlafen hingelegt. Irgendwann bin ich aufgewacht, da haben alle anderen aber gepennt. Ich hab mich wieder hingelegt und weitergeschlafen. Das war’s. Mehr gibt es nicht zu erzählen.«
»War Ralf noch da, als du aufgewacht bist?«, wollte Lena wissen.
»Keine Ahnung, hab ich nicht drauf geachtet.«
»Das ist komisch. Sagtest du nicht gerade, alle anderen haben geschlafen, als du aufgewacht bist? Wie kannst du das wissen, wenn du nicht einmal weißt, ob Ralf überhaupt in der Hütte war?«
Müde hörte Tim dem Gespräch zu. Er fühlte sich so matt und antriebslos, dass er nicht einmal den Kopf hob, sondern einfach nur auf den Boden vor sich starrte und froh war, dass er sich fürs Erste nicht irgendwem gegenüber rechtfertigen musste. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab und beschäftigten sich mit Dingen, die schon einige Jahre zurücklagen und doch plötzlich wieder so präsent waren.
Lange Zeit hatte er jetzt Ruhe gehabt. Diese furchtbare Sache damals in der Küche war zwar nicht das letzte Mal gewesen, dass er nachts aus seinem Bett gestiegen war, aber danach kam es nur noch selten vor und war immer nur harmlos gewesen. Und der jüngste Vorfall war auch schon fast zwei Jahre her. Tim hatte gehofft, das alles endlich hinter sich zu haben, und war auch guter Dinge gewesen, nachdem ihm zwei Ärzte versichert hatten, alles liege innerhalb der Norm. Alles sei normal, sofern das Schlafwandeln als Jugendlicher aufhöre. Und so, wie es aussehe, sei das bei ihm der Fall. Kein Grund also, sich weiterhin Sorgen zu machen. Und die Sache damals in der Küche … Auch darüber solle er sich keine Gedanken mehr machen. Er habe das Messer nicht als Waffe erkannt und benutzt, sondern es einfach unbewusst gegriffen, als er in die Küche gekommen sei. Es hätte ebenso eine Banane sein können, das hätte in diesem Zustand für ihn keinen Unterschied gemacht. Als seine Mutter dazukam und ihn mit dem Messer gesehen hat, da habe sie wohl aufgeschrien, wovon Tim erschrocken sei. In der Verwirrung des plötzlichen Aufwachens habe er dann mit den Händen um sich geschlagen und seine Mutter und sich selbst dabei mit dem Messer verletzt, das leider keine Banane gewesen war, meinte der Arzt.
Tim sah auf und versuchte sich auf das zu konzentrieren, was um ihn herum geschah. Schließlich ging es darum, herauszufinden, ob jemand Ralf etwas angetan hatte.
Gerade hatte Janik erklärt, durchgeschlafen und nichts mitbekommen zu haben, und Lucas aufgefordert, seinen nächtlichen Streit mit Ralf genau zu beschreiben.
»Na ja, wir hatten eigentlich zusammen unter einer Decke gesessen, aber als Ralf eingeschlafen ist, hat er sich alleine darin eingewickelt. Ich bin irgendwann wohl eingepennt. Als ich wach wurde, haben einige von euch geschnarcht. Ich glaube, gepennt haben alle. Ralf auch. Mir war schweinekalt und ich hab gezittert wie verrückt. Da hab ich versucht, die Decke unter
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