Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
vergeblich, denn die Passanten gehen achtlos an ihm vorbei. Ein Schwarzer schreit in einer unverständlichen Sprache in ein öffentliches Telefon, während eine dunkelhäutige Frau mit einem Kind im Buggy und einem weiteren Kind an der Hand die Tenedou-Straße entlanggeht. Eine andere Mutter, eine Griechin diesmal, sieht ihrer kleinen Tochter beim Spielen in der Fußgängerzone zu.
Ich werfe einen Blick auf die umliegenden Wohnhäuser. Immer noch gibt es Balkone mit Blumentöpfen und Blumenkästen, die wie Überbleibsel aus einer Zeit wirken, als Kypseli noch die begehrteste Wohngegend der Mittelklasse im Athener Zentrum war. Jeder wollte hier wohnen, bis ein Großteil der Bewohner hochnäsig wurde und meinte, in edlere Randbezirke ziehen zu müssen.
Als wir wieder im Erdgeschoss anlangen, tritt Sissis auf mich zu. »Ich habe mit Pavlos gesprochen und beschlossen, hierzubleiben und mitzuhelfen«, sagt er.
»Na, kommen Erinnerungen an Makronissos hoch?«, necke ich ihn.
»Ich muss schon sehr bitten, Kommissar«, meint er und setzt seine geschäftsmäßige Miene auf, wie immer, wenn er sich mit mir anlegt. »Ich war bei den Kommunisten, weil sie behaupteten, sie kämpften für eine menschenwürdige Gesellschaft. Siebzig Jahre lang waren sie auf der Suche danach, doch vor lauter Menschenwürde haben sie die nackten Zahlen vergessen. Das war ihr Untergang. Jetzt lebe ich in einer Gesellschaft, die sich nur nach den nackten Zahlen orientiert und die Menschenwürde aus den Augen verliert. Auch sie wird untergehen. Was tut man, wenn man mit einem großen Unternehmen pleitegeht? Man rettet, was zu retten ist, und fängt mit einem kleinen Laden wieder von vorn an. Genau das tue ich jetzt auch.«
Ich komme nicht mehr dazu, ihm zu antworten, da mein Handy klingelt.
»Hier die Notrufzentrale, Herr Kommissar. Ihre Dienststelle hat mich an Sie verwiesen.«
»Was gibt’s?«
»Gerade eben haben wir einen seltsamen Anruf erhalten. Eine Stimme sagte, Jerassimos Demertsis warte im Olympischen Zentrum Faliro auf Sie.«
»Haben Sie die Daten des Anrufers?«
»Der Anruf war anonym. Nach der Mitteilung wurde sofort aufgelegt.«
»Mann oder Frau?«
Der Beamte zögert.
»Die Stimme klang verzerrt, Herr Kommissar. Sie hörte sich weit weg und dumpf an. Es war nicht zu erkennen, ob Mann oder Frau.«
»Konnten Sie den Anruf zurückverfolgen?«
»Ja, er kam von einer Telefonzelle in Paleo Faliro.«
»Das Polizeirevier Paleo Faliro soll einen Streifenwagen zum Olympischen Zentrum schicken und sich direkt mit mir in Verbindung setzen. Ich fahre jetzt zurück zur Dienststelle.«
Katerina bitte ich, mit dem Taxi in ihr Büro zurückzukehren, denn ich muss jetzt sofort los. Mir schwant, dass mich eine Menge Scherereien erwartet.
7
Mein Telefon läutet Sturm, als ich das Büro betrete.
»Hier die Notrufzentrale, Herr Kommissar. Der Streifenwagen hat uns benachrichtigt, dass im Olympischen Zentrum Faliro ein Toter liegt.«
Meine böse Vorahnung hat sich bestätigt. Als ich meine Mitarbeiter zusammentrommle, erscheinen Koula, Vlassopoulos und Dermitsakis. Der Neue, Papadakis, ist nicht dabei. Vielleicht, weil er sich im Team noch als Fremdkörper fühlt. Oder er geht auf Tauchstation, um schwierigen Fällen auszuweichen.
»Koula, rufen Sie Stavropoulos in der Gerichtsmedizin an. Er soll sofort zum Olympischen Zentrum Faliro kommen. Benachrichtigen Sie auch die Spurensicherung.«
»Worum geht’s? Um Mord?«, fragt sie.
»Ja, der Streifenwagen vom Revier Paleo Faliro hat einen Toten gefunden.«
»Wer ist es?«
»Er ist noch nicht offiziell identifiziert. In der Notrufzentrale ist ein anonymer Anruf eingegangen, in dem vom Bauunternehmer Jerassimos Demertsis die Rede war. Vlassopoulos und Dermitsakis kommen mit mir, Sie und Papadakis halten hier die Stellung«, sage ich zu Koula.
»Das heißt wohl ich allein. Denn Papadakis hat sich noch nicht blicken lassen«, erwidert Koula.
»Wie spät ist es?«, frage ich verwundert.
»Elf.«
Die anderen werfen Koula strafende Blicke zu.
»Was schaut ihr mich so an?«, regt sich Koula auf. »Ab heute halte ich für keinen mehr den Kopf hin. Wir sind doch hier nicht die Idioten, die um acht auf der Matte stehen, und er gibt sich die Ehre, wann es ihm gerade passt. Er ist nicht die einzige unbezahlte Kraft.«
»Ist das schon öfter vorgekommen?«, frage ich Dermitsakis.
»Ein paarmal.«
»Und warum weiß ich nichts davon?«
»Jetzt wissen Sie es, und zwar von mir«, antwortet Koula,
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