Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
an.
»Schön, dass Sie mir beipflichten, Herr Kommissar«, erklärt Dermitsakis befriedigt. Aber ich meine eigentlich etwas ganz anderes: Wir sind Leonidas’ Kinder, doch es gibt nichts mehr zu holen.
Mein Blick fällt auf eine Reihe von Matratzen, auf denen alte, zerschlissene Kleider liegen.
»Anscheinend wohnt hier jemand.«
»Illegale«, schlussfolgert Vlassopoulos.
»Wenn wir Glück haben, hat einer von ihnen etwas beobachtet«, bemerkt Dermitsakis.
»Kommt auf die Tatzeit an. Tagsüber wird keiner hier gewesen sein. Die verschwinden bei Tagesanbruch und kommen erst nachts zum Schlafen wieder. Beim Anblick des toten Demertsis haben sie bestimmt die Flucht ergriffen. Die sehen wir nie wieder. Nur wenn der Mord nachts geschehen ist, gibt es eine kleine Hoffnung, aber sehr zuversichtlich bin ich nicht.«
Stavropoulos beugt sich gerade über den Toten.
»Sie sind Ihrer Zeit voraus, Charitos«, sagt er, ohne den Kopf zu heben.
»Warum?«
»Sie machen mit Ihrer Leiche schon mal den Anfang. Bald liegen wir alle auf dem Müll.«
Ich spare mir jeden Kommentar, da ich seine geschmacklosen Witze längst gewöhnt bin.
»Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt für die Tatzeit?«
»Einen ziemlich genauen sogar. Der Mord muss heute Morgen zwischen acht und elf geschehen sein.«
»Wurde er hier oder woanders getötet?«
»Hier, das steht fest. Nachdem auf ihn geschossen wurde, ist er hier zusammengebrochen. Andernfalls würde man Schleifspuren sehen.«
Wurde er vor Ort umgebracht, dann müssten wir sein Auto in der Nähe auffinden können. Demertsis wird nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Faliro gefahren sein. Und wenn er nicht mit dem eigenen Wagen gekommen ist, dann höchstwahrscheinlich zusammen mit seinem Mörder.
»Da gibt es noch etwas«, meint Stavropoulos.
»Ja?«
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber auf den ersten Blick sieht es nicht danach aus, als sei er aus nächster Nähe erschossen worden.«
»Er wurde also aus einiger Entfernung getroffen?«
»Kann sein, doch erst die Obduktion wird uns Gewissheit verschaffen. Das wär’s meinerseits. Jetzt gehört er ganz Ihnen.«
Plötzlich ertönt aus heiterem Himmel eine Stimme, die aus Demertsis’ Kleidern zu dringen scheint. Erschrocken weicht Stavropoulos einen Schritt zurück.
»Hier Polytechnikum. Hier Polytechnikum. Sie hören den Sender der freien kämpfenden Studenten, der freien kämpfenden Griechen.« Darauf folgt eine ganz kurze Pause, und eine andere Stimme ergänzt: »Brot, Bildung, Freiheit. Nur Brot haben wir keins.«
Die Botschaft bricht genauso abrupt ab, wie sie eingesetzt hat. Uns hat es allen die Sprache verschlagen, während wir auf den toten Demertsis starren. Als Erster fängt sich Dimitriou. Er knöpft Demertsis’ Kleider auf und durchsucht seine Taschen. Aus der Innentasche des Sakkos zieht er ein Handy und streckt es uns entgegen.
»Simpel, aber wirkungsvoll«, erläutert er den Umstehenden. »Die Botschaft wurde als Klingelton gespeichert. Sobald man anruft, wird sie abgespielt. Anstelle irgendeiner Melodie hört man die Parole aus der Zeit der Besetzung des Polytechnikums während der Junta. Technische Spielereien.«
Vlassopoulos stellt die Frage, die uns allen auf der Zunge liegt. »Und woher weiß der Anrufer, wann er die Nummer wählen muss?«
»Jemand muss uns beobachtet haben«, sagt Dermitsakis.
Wir drehen uns um und lassen unsere Blicke in die Umgebung schweifen. Ziemlich bescheuert – erwarten wir etwa, dass uns der Anrufer aus der Ferne zuwinkt?
»Wer auch immer das war: Er ist weg«, sage ich.
»Der Anruf stützt die Theorie, dass der Mord nicht aus unmittelbarer Nähe verübt wurde«, resümiert Stavropoulos.
»Jedenfalls ist er mit Sicherheit vor Ort getötet worden, denn wir haben in der Zwischenzeit das Projektil gefunden«, ergänzt Dimitriou. »Ich schicke es weiter zur ballistischen Untersuchung.«
»Einverstanden, aber Vorrang hat das Handy. Prüfen Sie nach, ob Sie Anrufe darauf finden, die uns irgendein Türchen öffnen. Doch zuerst einmal müssen wir Demertsis’ Wagen finden. Er muss ihn hier irgendwo abgestellt haben.«
Stavropoulos gibt den Abtransport des Toten frei und verlässt den Tatort. Dimitriou fährt fort, seine Spurensammlung zu vervollständigen. Und wir machen uns auf die Suche nach Demertsis’ Auto.
8
Die Sicherstellung von Jerassimos Demertsis’ Wagen war eine leichte Übung. Er stand auf der Faethontos-Straße in der Nähe der Grundschule. Ein grauer
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