Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
an der Polizeischule gewesen, hätten Sie ein schriftliches Bekenntnis zu Ihrer nationalen Gesinnung ablegen müssen«, sagt er zu ihm. »Nach der Junta wurde das abgeschafft, stattdessen musste man seine linke Weltanschauung vor sich hertragen. Theologis hatte sich auf die Entgegennahme solcher Bekenntnisse spezialisiert. Deshalb hat er auch so schnell Karriere gemacht.«
»Ja, aber was war mit der Prüfungskommission?«, will Papadakis wissen.
»Die Mitglieder wollten ihn um jeden Preis promovieren. Daher haben sie sich gar nicht die Mühe gemacht, die Arbeit zu lesen.« Er holt tief Luft und wendet sich an mich. »Theologis war im besten Fall akademisches Mittelmaß, Herr Kommissar. Sein Einfluss basierte nicht auf seiner wissenschaftlichen Leistung, sondern auf den Jugendorganisationen der Parteien und den Studentenverbänden, in denen seine Anhänger organisiert waren. An der juristischen Fakultät lief ohne seine Zustimmung gar nichts.«
»Bei so vielen Anhängern muss er doch auch Feinde gehabt haben«, halte ich ihm entgegen.
»Ja, schon. Aber niemand wagte es, das offen auszusprechen. Sehen Sie, man fürchtete den Konflikt mit Theologis’ ›Massenbewegung‹.« Zufrieden mit seiner Pointe, blickt er mich an. Als er merkt, dass ich nicht darauf eingehe, fährt er fort: »Die Leute halten die Universität für einen Tempel der Weisheit, Herr Kommissar«, sagt er. Das erinnert mich an Theologis’ Tochter, die genau dasselbe behauptete. »Das stimmt zwar, doch wie in jedem Tempel geht es auch an der Uni um die Verteilung von Macht und Einfluss. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Es bilden sich vielmehr unheilige Allianzen, es regiert Gemauschel, und im Mittelpunkt steht nur der eigene Vorteil.«
»Die Möglichkeit besteht jedenfalls, dass einer von denen, die offiziell nichts zu sagen wagten, schließlich doch zugeschlagen hat.«
»In dem Fall tun Sie mir ehrlich leid.«
»Warum?«
»Weil keiner den Mund aufmachen wird. Wie groß auch der Hass oder die Feindseligkeiten sein mögen, es gilt als Frevel, solche Dinge außerhalb des Tempels zu verhandeln. Auch auf uns trifft das Sprichwort zu: ›Wenn du dein Haus nicht lobst, fällt es dir auf den Kopf.‹ Daher befürchte ich, dass Sie auf eine Mauer des Schweigens stoßen.«
Er hat mir zwar das Herz schwergemacht, doch seine Argumente leuchten mir ein. Am besten wäre es, einen ehemaligen Unimitarbeiter aufzutreiben, der entlassen wurde oder der angeekelt ausgestiegen ist. Der würde mir bestimmt reinen Wein einschenken.
»Eine Frage stellt sich mir immer wieder, Herr Kommissar«, sagt Stefanidis.
»Und die wäre?«
»Nicht nur an der Universität, sondern im gesamten Bildungswesen hatte vor dem Militärputsch und bis zum Ende der Junta die politische Rechte das Sagen. Wie ist es möglich, dass die größte Zahl der Studenten, die bei uns zur Schule gegangen sind, bei der politischen Linken gelandet ist?« Er verstummt – entweder, weil er auf meine Entgegnung wartet, oder aber auch, weil er sich selbst die Antwort zu geben versucht. »Manchmal tröstet mich der Gedanke, dass wir unseren Studenten trotz allem keine Gehirnwäsche verpasst haben. Dann wieder sage ich mir, dass sie vielleicht als Reaktion auf uns oder aus Widerstand gegen die Diktatur bei der Linken gelandet sind. Vermutlich ist es eine Kombination aus beidem. So hätte es, glaube ich, auch Marx begründet, dessen Lehre ich persönlich natürlich ablehne.«
Auf der Suche nach Theologis’ Mörder bin ich nun also bei Marx gelandet. An der Polizeischule hatte uns unter der Junta kein Mensch von Marx erzählt. Alle redeten nur von den roten Socken, die in unserem Vaterland die Macht übernehmen wollten. Später sollte ich Sissis als Musterbeispiel dieser Spezies kennenlernen. Marx hat sich gegen Stefanidis durchgesetzt wie Sissis gegen die Betonköpfe der Junta. Fazit: Ich stehe mit leeren Händen da.
»Um Theologis Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muss ich Ihnen noch etwas erzählen«, sagt Stefanidis, der inzwischen in Plauderstimmung zu sein scheint. »Er hat sich für meinen Gefallen revanchiert, indem er mich immer unterstützt hat, wenn mir Studenten Schwierigkeiten machen wollten. Dann hat er sie sofort zur Ordnung gerufen.«
Abschließend erhebt er sich, um zu signalisieren, dass das Treffen zu Ende ist.
»Ich wünsche Ihnen viel Glück, Herr Kommissar. Das werden Sie brauchen, denn das Gelände, auf das Sie sich vorgewagt haben, ist vermint.«
»Entschuldigung,
Weitere Kostenlose Bücher