Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
verwendete Waffe ist, wie ich darin lese, dieselbe wie bei Demertsis. Also haben wir es mit zwei in jeder Hinsicht deckungsgleichen Taten zu tun. Dadurch scheint ein Terrorakt immer wahrscheinlicher.
»Haben Sie Stefanidis’ Adresse herausgefunden?«, frage ich Koula.
»Ja, er wohnt in der Krinon-Straße in Psychiko, gleich neben der chinesischen Botschaft.«
»Papadakis soll einen Streifenwagen anfordern. Und kündigen Sie dort unseren Besuch an.«
Die Anfahrt geht zügig vonstatten. Über die Vassileos-Pavlos-Straße gelangen wir in den Stadtteil Psychiko und fahren bis zum Evkalypton-Platz.
Innerhalb kürzester Zeit stehen wir vor einem Wohnhaus, das während des Wirtschaftswunders in den fünfziger Jahren entstanden sein muss. Dieses griechische Wirtschaftswunder zog einen Bauboom nach sich, der an der Provinz spurlos vorbeiging und sich nur auf Athen beschränkte. Auf dem Klingelschild steht »Stefanidis, 2. Etage«.
Eine Dame mit weißem Haar und eleganter Kleidung öffnet uns die Tür.
»Ich bin die Schwester von Professor Stefanidis«, stellt sie klar und führt uns zu seinem Arbeitszimmer – ein riesiger Raum, fast so groß wie ein Vorlesungssaal, mit Bücherregalen an den Wänden, einem altmodischen Schreibtisch aus Nussbaumholz und zwei Ledersesseln. Vor einer Bücherwand steht eine Bibliotheksleiter, die es Stefanidis erlaubt, zu den oberen Regalbrettern hochzuklettern.
Prompt erscheint auch die unerlässliche Asiatin, um nach unseren Wünschen zu fragen. In den fünfziger Jahren kamen die Hausmädchen noch aus der griechischen Provinz nach Athen – in der Hoffnung, einen braven Mann zu finden. Und bis der brave Mann gefunden war, arbeiteten sie umsonst. Leider ging die angehende Braut dann aber oft leer aus. Ich sehe schwarz für die Asiatinnen, denn wie es im Moment aussieht, werden wir zum Brauch mit den Hausmädchen aus der griechischen Provinz zurückkehren.
Stefanidis ist ein kleiner, beleibter Glatzkopf um die siebzig. Obwohl er zu Hause arbeitet, trägt er Anzug und Krawatte. Er hat zwar gehört, dass seine Schwester uns als Polizeibeamte vorgestellt hat, lässt sich jedoch nicht stören und kritzelt weiter auf das auf seinem Schreibtisch liegende Blatt Papier.
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Professor, aber wir benötigen ein paar Auskünfte über Nikos Theologis«, sage ich einleitend. »Sie haben bestimmt gehört, dass er ermordet wurde.«
Er sieht ein, dass er uns nicht länger ignorieren kann, und lässt den Kugelschreiber sinken.
»Ja, ich weiß. Was wollen Sie genau wissen?«, sagt er mit gefasster, sachlicher Miene. An seiner Mimik ist nicht abzulesen, ob Theologis’ Ermordung bei ihm Schadenfreude oder Bestürzung auslöst.
»Bei unseren Ermittlungen sind wir auf einen Link im Internet gestoßen, wo nachgewiesen wird, dass die Doktorarbeit des Opfers ein Plagiat ist. Nun fragen wir uns, ob sich dahinter ein Mordmotiv verbergen könnte.«
»Nach so vielen Jahren?«, wundert sich der Hochschullehrer.
»Die Rache ist ein Gericht, das am liebsten kalt gegessen wird, Herr Professor«, meint Papadakis.
»Handelt es sich denn tatsächlich um ein Plagiat?«, frage ich Stefanidis.
»Vom ersten bis zum letzten Wort«, erwidert er, ohne zu zögern.
»Das soll jetzt keine Anschuldigung sein, aber unseres Wissens waren Sie der Doktorvater. Haben Sie nicht gemerkt, dass die Dissertation abgeschrieben war?«
»Doch«, versetzt er ohne Umschweife.
»Und Sie haben sie trotzdem angenommen?«
Mit einem nachsichtigen Lächeln blickt er uns zum ersten Mal direkt in die Augen.
»Ich bin ein Konservativer, Herr Kommissar. Ich war kein Anhänger der Junta, stand aber immer politisch rechts. Wissen Sie, was es hieß, nach dem Fall der Junta an der Universität zum rechten Lager zu gehören? Auch nur der kleinste, gänzlich unbegründete Vorwurf konnte einen den Kopf kosten. Theologis war ein Held des Widerstands, er hatte an der Besetzung des Polytechnikums teilgenommen und lebte danach im Untergrund. Alle waren fest entschlossen, ihn zu promovieren. Hätte ich mich als Einziger dagegengestellt, wäre das einem beruflichen Selbstmord gleichgekommen. Also habe ich den Mund gehalten und die Arbeit angenommen. Und ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich mich dafür schäme.«
Ich merke, dass es Papadakis kaum mehr auf dem Ledersessel hält. Auch Stefanidis bleibt das nicht verborgen, und er blickt ihn mit einem spöttischen Lächeln an.
»Wären Sie zu meiner Studienzeit
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