Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
meine Frau und mein Sohn weg waren und ich plötzlich ganz allein dastand, habe ich begriffen, dass es nichts bringt, bei jeder Gelegenheit bloß Vorwürfe zu äußern. Man muss Beweise liefern. Nach meinem Posten in Libyen war ich mir sicher, dass ich keine Stelle als Diplomingenieur mehr finden würde, und hab den Beruf gewechselt.«
»Was für eine Arbeit haben Sie dann gemacht?«, frage ich.
»Ich habe mich auf das Recherchieren von Fakten und Hintergründen spezialisiert.« Sein Gesichtsausdruck sagt aus, dass er sehr stolz auf sein Lebenswerk ist. »Ich habe mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und mich in der verbleibenden Zeit ganz auf die Nachforschungen konzentriert. Zwei der drei Kartons, die ihr aus meinem Haus mitgenommen habt, sind randvoll mit meinen Ergebnissen. Wenn Sie das alles durchforsten wollen, brauchen Sie Jahre«, meint er zu mir.
Noch einmal bricht sein seltsames Lachen aus ihm heraus. Es ist das zufriedene Glucksen eines Menschen, der sich für unantastbar hält und glaubt, das Schicksal der anderen in der Hand zu haben.
»Ich meldete mich immer dann telefonisch, wenn ich ihnen wieder etwas anhängen konnte. Eine Weile ließ ich nichts von mir hören, so dass sie schon glaubten, sie wären mich los. Doch als ich dann mit den Beweisen kam, kriegten sie Panik.«
»Was für Beweise hatten Sie gegen Demertsis?«, frage ich.
»Demertsis hat mich bei der Militärpolizei verpfiffen. Wir waren beide an derselben Fakultät, dann zusammen im Widerstand und bei der Besetzung des Polytechnikums. Er wusste alles über mich. Er hat mich verraten und verkauft. Kennen Sie Petrakos?«
»Ja, er ist der Finanzdirektor in Demertsis’ Firma. Ich habe ihn zweimal getroffen.«
Chalatsis klopft sich begeistert auf die Schenkel.
»Petrakos als Finanzdirektor!«, ruft er aus. »Wo hat Petrakos denn Wirtschaft studiert? An der London School of Economics?« Genauso schlagartig wird seine Miene wieder ernst. »Vergiss es, Bulle. Er war Folterknecht. Bei ihm hat Demertsis meinen Namen und den vieler anderer ausgespuckt. Als die Junta fiel, hatte der eine den anderen in der Hand. Demertsis wusste, dass Petrakos Folterknecht war, und Petrakos wusste, dass Demertsis seine eigenen Leute angeschwärzt hatte. Das hat sie zusammengeschweißt. Petrakos hat Demertsis zum Widerstandskämpfer hochgejubelt, und Demertsis hat Petrakos den Rücken freigehalten. Und was Lepeniotis, den ach so großen Arbeiterführer betrifft, finden Sie in den Kartons all die Scheinfirmen, die er mit seinen Schützlingen gegründet hat, um Gelder aus den integrierten Mittelmeerprogrammen und dem gemeinschaftlichen Förderkonzept abzuzweigen. Lepeniotis war immer als Erster da. Alle anderen mussten, so wie heute die Obdachlosen, in den Müllcontainern nach den Resten wühlen.«
»Aber, Herr Chalatsis, warum haben Sie all diese Beweise nicht der Öffentlichkeit übergeben? Die Journalisten hätten Ihnen den roten Teppich ausgerollt.«
Empört schnellt er aus seinem Stuhl hoch.
»Was redest du da, Bulle?«, schreit er. »Ich ein Denunziant? Ich habe nie irgendjemanden angeschwärzt. Nicht einmal, als man mich drei Monate lang bei der Militärpolizei gefoltert hat. Und da soll ich es jetzt tun?«
Koula hat mit dem Protokoll innegehalten und blickt zwischen mir und Chalatsis perplex hin und her. Schließlich konzentriert sie ihre Aufmerksamkeit auf Chalatsis. Er scheint völlig in sich gefangen und neben der Spur.
»Ach, man kann mit Bullen einfach nicht reden. Hier verliere ich nur meine Zeit.«
Er steht auf, geht zur Tür und will den Raum verlassen.
»Leider können Sie nicht einfach gehen, Herr Chalatsis«, sage ich freundlich. »Im Zuge der Vernehmung halten wir Sie vorläufig fest, und ich entscheide, wann Sie gehen dürfen.«
Es dauert ein paar Sekunden, bis er wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist. Er dreht sich um und nimmt erneut Platz. Ich gebe ihm noch ein bisschen Zeit, damit er sich wieder fängt.
»Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, wenn Sie damit an die Öffentlichkeit gegangen wären«, sage ich zu ihm. »Aber Sie wollten kein Denunziant sein und haben sie deshalb umgebracht.«
»Ich sie umgebracht? Sind Sie noch bei Trost? Willst du mir drei Morde aufhalsen, Bulle?«
»Ich will Ihnen gar nichts aufhalsen. Sie haben, um bloß kein Denunziant zu sein, sich an ihnen gerächt und sie getötet.«
»Und wie, bitte schön, soll ich das getan haben? Sie haben mein Haus auf den Kopf
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