Abrechnung: Ein Fall für Kostas Charitos (German Edition)
Anführern des Widerstands. Er hatte ein seltenes Organisationstalent. Alle Fäden liefen bei ihm zusammen. Es gelang ihm zwar die Flucht, aber eine Weile später hat man ihn im Haus eines Freundes in Thiva gefasst. Offenbar hatte ihn jemand verpfiffen, aber wir haben nie erfahren, wer es war. Und er selbst hat nie darüber geredet. Bei der Militärpolizei wurde er brutal gefoltert. Nach dem Regierungswechsel hat er sich nicht nur völlig von der Generation Polytechnikum distanziert, wie ich es tat, sondern er ist noch einen Schritt weitergegangen. Ständig agitierte er gegen seine alten Kommilitonen, er warf ihnen vor, sie hätten die Stufen der Macht erklommen und äßen mit goldenen Löffeln – mit dem Ergebnis, dass er sich überall Feinde machte und nirgendwo Fuß fassen konnte. Obwohl er Diplomingenieur war, hat man ihn überall wieder entlassen. Er sollte zum Schweigen gebracht werden. Mit Müh und Not fand er eine Stelle in einer Firma, die in Libyen tätig war. Als er auf Montage war, ließ sich seine Frau mit einem seiner früheren Kommilitonen ein, der inzwischen ein großer Zampano war, und zog schon bald mit dem Sohn zu ihm. Um seine Frau umzustimmen, ließ der betrogene Ehemann in Libyen alles stehen und liegen, doch ohne Erfolg. Für sie war Jannis ein Schlappschwanz. Sie meinte, alle seine Freunde hätten es zu etwas gebracht. Auch er hätte seiner Familie mit all den Beziehungen, die er damals geknüpft hatte, ein bequemes Leben ermöglichen können. Aber aufgrund seiner Unfähigkeit und Sturheit könne er nirgends Fuß fassen. Sie jedenfalls habe nicht vor, ihr Leben und das ihres Sohnes seinetwegen kaputtzumachen. Die Scheidung war dann der Todesstoß. Danach ging es bergab mit ihm. Tja, das ist seine Geschichte.«
Das klingt wie das Paradebeispiel eines Mannes, der aus Verzweiflung seine Grenzen überschreitet und zum Mörder wird.
»Wissen Sie vielleicht, was aus seiner Frau geworden ist?«
Er lacht auf. »Sie wurde dafür, dass sie ihn verlassen hatte, reich belohnt. Man wollte ihm vor Augen führen, dass ihm alle Möglichkeiten offengestanden hätten, wenn er sich mit seinen früheren Weggenossen arrangiert hätte. Deshalb öffneten sich seiner Frau alle Türen. Zurzeit leitet sie eine Behörde oder etwas Ähnliches und hat überall ihre Finger im Spiel.«
Kasantsis scheint Chalatsis’ Leben in all seinen Phasen verfolgt zu haben. Es steht zu befürchten, dass er ihn warnt, sobald er mein Büro verlässt, und Chalatsis untertaucht.
»Herr Kasantsis, ich möchte Sie bitten, noch ein paar Stunden bei uns zu bleiben«, sage ich zu ihm. »Das ist keine Festnahme, Sie sind unser Gast.«
»Was soll das heißen?«
»Ich will offen mit Ihnen reden. Jannis Chalatsis ist Ihr Freund. Sie kennen seine ganze Leidensgeschichte. Möglicherweise können Sie der Versuchung nicht widerstehen und sagen ihm, dass wir nach ihm suchen. Sie werden verstehen, dass wir so etwas verhindern wollen. Daher bleiben Sie besser bei uns, bis wir Chalatsis gefunden haben.«
»Also ist er tatverdächtig«, schlussfolgert er.
»Sagen wir es so: Von ihm erhoffen wir uns konkrete Beweismittel. Daher wollen wir verhindern, dass er sie verschwinden lässt. Darüber hinaus möchte ich Sie bitten, mir Ihr Handy zu geben. Wenn Sie gehen, bekommen Sie es wieder.«
»Was für ein Handy, Herr Kommissar? Sehe ich so aus, als hätte ich eins? Ich hab nur eine Telefonkarte für die Apparate am Flughafen. Sie können mich gern durchsuchen, wenn Sie wollen.«
»Nicht nötig, ich glaube Ihnen.«
Dermitsakis macht sich mit Kasantsis auf den Weg ins Assistentenbüro. »Bestellen Sie Herrn Kasantsis etwas zu essen«, sage ich. »Wenn wir ihn schon festhalten, ist eine warme Mahlzeit das mindeste, was wir ihm anbieten können.«
Diese Geste beruhigt ihn doppelt. Erstens, weil dadurch bekräftigt wird, dass er nicht als Häftling hier ist, und zweitens, weil er, vielleicht zum ersten Mal nach langer Zeit, ein anständiges Essen bekommt.
Sobald sie aus der Tür sind, rufe ich Stella an.
»Sagen Sie dem Herrn Kriminaldirektor, dass ich ihn sofort sprechen muss. Es ist sehr dringend.«
Dann informiere ich Gonatas.
»Kommen Sie sofort in Gikas’ Büro. Es gibt Neuigkeiten.«
»Haben wir ihn?«, fragt er mich.
»Gut möglich, aber das wird sich zeigen.«
Als ich eintreffe, stehen Gikas und Gonatas vor Stellas Schreibtisch.
»Wenn Sie mir noch mal eine Hiobsbotschaft überbringen wollen, dann kehren Sie am besten gleich wieder in
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