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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Verhalten noch bemerkte. Und, ein zweiter Unterschied, es war keine Familie da, die von Abschaffels Aufzug hätte beleidigt sein können. Waren diese Unterschiede ausreichend, den Vater hinter sich zurückzulassen, oder waren sie belanglos? Er überlegte und überlegte, aber seine Fragen wandelten sich nur in Qualen um. Er bekam Angst, in großen Mengen stürzte sie in seinen Körper, und er verspürte den Drang, die Angstströme im Körper anzuhalten. Aber wie war das zu machen? Statt dessen ging die Angst dicht hinter ihm her. Sie ging sogar mit ins Bett, und als Abschaffel neben sich die Bettdecke niederschlug, glaubte er, ihr einen Platz gemacht zu haben.
     
    Frau Schönböck grüßte ihn wieder im Büro, nachdem sie ihn wochenlang nicht besonders beachtet hatte. Hatte sie etwas Positives über Abschaffel gehört? Oder hatte sie erfahren, daß er etwas Gutes über sie gesagt hatte? Hatte er sich denn überhaupt jemals über Frau Schönböck ausgelassen? Er überlegte, aber er konnte sich an nichts dergleichen erinnern. Es kam vor, daß er über Kollegen redete, meistens abfällig wie alle anderen, aber über Frau Schönböck hatte er nie ein Wort gesagt. Er wollte unter allen Umständen vermeiden, daß in der Firma über sein kurzes Abenteuer mit Frau Schönböck geredet wurde. Die Regel war, daß nach Ablauf einer gewissen Ehrfurchtszeit bald jeder wußte, wer an wen sexuell einmal herangetreten war. Aber offenbar hielt auch Frau Schönböck dicht, bisher jedenfalls. Warum grüßte sie ihn plötzlich wieder? Er fühlte sich beunruhigt. Er achtete Frau Schönböck nicht, und wenn ihm einfiel, daß er einmal mit jemandem zusammengewesen war, den er nicht achtete, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst ebenfalls nicht zu achten. Dann betrachtete er sein Geschlecht als gierigen und blöden Herrn, der das Niveau seiner übrigen Person leider nicht immer halten konnte. Schon wieder redete Frau Schönböck darüber, daß sie in einigen Tagen in Urlaub fuhr, nach Jugoslawien. Er zwang sich, ihren Schwärmereien nicht zuzuhören, und dachte statt dessen an Margot. Vierzehn Tage waren vergangen, seit sie wortlos seine Wohnung verlassen hatte. Er hatte sie seither nicht wieder gesehen und nicht wieder gesprochen. Er bemühte sich, diese Pause nicht außergewöhnlich zu finden und sich einzureden, daß sie jeden Augenblick wieder anrufen konnte. Zwischen neun und zehn Uhr wurde es endlich still im Büro. Manchmal war es so, als hätten alle Angestellten gleichzeitig tiefe Einsichten in ihr Leben, und es sei deswegen so still. Nur ein wenig Arbeit war zur Tarnung nötig. Kommt Zeit, kommt Mittag, sagte jemand aus der Buchhaltung. Um elf telefonierte Frau Schönböck mit einem Kunden und setzte an den Schluß des Gesprächs erneut einen Hinweis auf ihre baldige Urlaubsabwesenheit. Abschaffel wollte verhindern, daß er in der Mittagspause mit ihr an einen Tisch geriet. Seit die Gleitzeit eingeführt war, überlegten sich die Kollegen sorgfältiger, ob sie das Haus verlassen sollten. Jeder hatte einen Ausweis mit Foto bekommen, der jedesmal beim Betreten oder Verlassen des Hauses in einen Steckapparat eingeführt werden mußte. Abschaffel gehörte nicht zu den Kollegen, die in der Mittagspause das Büro verließen. Wer aus dem Haus ging, überzog fast regelmäßig die Mittagszeit; früher waren das erschlichene Verlängerungen der Mittagszeit, um die sich niemand besonders kümmerte, aber heute gab es die Stechuhr, die jede Minute Abwesenheit aufzeichnete und anrechnete. Abschaffel sah aus dem Fenster hinaus und dachte wieder an Margot, und das wollte er auch in der Mittagspause tun. Ungestört wollte er eine Mittagspause lang hoffnungsvoll an Margot denken und am Ende ganz sicher sein, daß sie ihn am Abend besuchte. Statt dessen überlegte er, wie er verhindern konnte, daß Frau Schönböck sich ihm anschloß. Es bedeutete etwas, wenn man plötzlich wieder gegrüßt wurde, ebenso wie es etwas bedeutete, wenn man plötzlich nicht mehr gegrüßt wurde. Das heißt, manchmal bedeuteten beide Vorgänge auch nichts, wenn sie nur Launen und unbestimmten Haltungen von Kollegen entsprangen. Aber wie sollte man beurteilen, ob man nur einmal aus Launenhaftigkeit nicht gegrüßt wurde oder ob man aus bestimmten, das heißt feindlichen Absichten heraus gegrüßt wurde? Immer gab es eine Anzahl von Kollegen, die eine andere Anzahl von Kollegen zur Zeit nicht grüßte. Und es konnte geschehen, wie es Abschaffel auch schon

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