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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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in der Schule allmählich der Boden unter den Füßen wegsank. Seine Leistungen wurden schlechter und schlechter, und Abschaffels Mutter begann, ihm Glutaminpillen zu verabreichen, die seine Intelligenz fördern sollten. Abschaffel schluckte alle Pillen und zeigte eine gleichgültige Haltung: Es war nicht nötig, daß ein späterer Tarzan über den österreichischen Erbfolgekrieg Bescheid wissen mußte.
    Wie es ihm gelang, dem Tarzanwunsch zu entwachsen und ihn zu vergessen und an seine Stelle einen neuen Wunsch zu setzen, auf dessen Erfüllung ebenso inbrünstig gewartet wurde wie auf die des alten, war nicht zu klären, auch an diesem Büronachmittag wieder nicht. Abschaffel überlegte und überlegte, und seine Augen wuchsen langsam nach innen in seinen Kopf. Wie war es möglich, daß ich eines Tages nicht mehr Tarzan sein wollte? Und wäre ich vielleicht nie Angestellter geworden, wenn ich zwischen elf und vierzehn nicht Tarzan hätte werden wollen? Ist ein harmloser Auswanderer der Grund dafür, daß ich den Anschluß an die richtige Welt verpaßt habe? Abschaffel bemerkte als Kind gar nicht, daß er Tarzan eines Tages vergessen hatte. Vermutlich war es während der morgendlichen Schulwege geschehen, während dieses tief unbewußten, jahrelangen Gehens, das ohne Wunschentfaltung gar nicht zu bewältigen war. Jedenfalls wünschte er sich eines Morgens ein Rennrad. Auf dem Schulweg kam er an einem Fahrradgeschäft vorbei, und dieses Geschäft hatte eines Tages ein Rennrad in voller Größe im Schaufenster stehen. Abschaffel fand sich in monströse Überlegungen vertieft, wie er das Geld für das Rennrad auftreiben sollte. Dann würde er internationale Rennen fahren und gewinnen. Er würde immer nur kurz nach Hause zurückkehren, um seinen armen Eltern zu sagen, wie gut es doch gewesen sei, daß er sich damals das Rennrad gekauft hatte. Er bekam das Rennrad nie. Statt dessen kaufte er einem schon älteren Lehrling, der unter unbekannten Umständen das Gymnasium hatte verlassen müssen und sich ein Moped gekauft hatte, dessen gebrauchtes Fahrrad für ein paar Mark ab. Es hatte nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Rennrad, sondern es war eines der schwarzen unscheinbaren Räder der Nachkriegszeit, mit dem gewöhnlich die stummen Väter zur Arbeit fuhren. Es hatte noch nicht einmal ein Schutzblech. Er hatte ein Rennrad haben wollen, aber nun mußte er den Umgang mit Hosenspangen lernen. Trotzdem gab Abschaffel noch nicht auf. Er wollte das gewöhnliche Fahrrad allmählich in ein Rennrad umwandeln. An das Vorder- und Hinterrad wollte er je eine Felgenbremse montieren, den breiten Gummisattel wollte er einwechseln gegen einen schmalen Lederrennsattel, und vorne wollte er einen tiefen Rennlenker haben, der den Körper beim Fahren in eine vornübergebeugte Haltung brachte. Der Gepäckträger mußte natürlich weg, und, als Krönung, der gesamte Antrieb mit Rücktritt mußte verschwinden und durch eine italienische Fünf-Gang-Schaltung ersetzt werden. Nichts von alldem bekam Abschaffel je in die Hände. Grämlich fuhr er auf dem alten Fahrrad umher. Er hatte es nicht fertiggebracht, so viel Geld zu sparen, um sich all diese Dinge kaufen zu können. Wenn er von einer Tante eine Mark bekommen hatte, trug er sie sofort zum nächsten Kiosk. Ein Rennrad war zwar schön und gut und etwas für die Zukunft, aber für den Alltag wurden dringend Schokolade, Kaugummi und Waffelbruch benötigt.
    Nach der Rennradphase war er in das Gitarrenalter eingetreten. Mit sechzehn wollte er sein wie Elvis Presley. Er wollte nie arbeiten, immer glücklich sein und immer viel Geld haben, und Elvis Presley schien dieses Ziel glänzend erreicht zu haben. Der halbwüchsige Abschaffel stand in Musik- und Instrumentengeschäften herum und erkundigte sich bei der Volkshochschule nach dem Beginn neuer Gitarrenkurse. Er buchte sogar einmal einen Gitarrenkurs, besuchte aber rätselhafterweise keinen einzigen der Kursabende, und er kaufte sich auch nie eine Gitarre. Er saß nachmittags im stillen und kalten Schlafzimmer der Eltern auf dem Rand der Ehebetten. Er hielt seine Arme so, als müßten sie eine Gitarre an den Leib klammern, und betrachtete sich im hohen Frisierspiegel der Kommode. Er tat, als singe und spiele er, und er fühlte sich, als sei er glücklich und reich, und wenn er später am Radio den ›Jailhouse Rock‹ oder ›Love me tender‹ hörte, dachte er wohlwollend: Ah ja, Kollege Elvis ist wieder dran.
    Der eigentümlichste von

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