Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
Vom Netzwerk:
der Plane zu hören; ein Windstoß blähte die Zeitungsseiten und strich kühl über Rowenas Haut.
    Reid ließ die Hand auf den Tisch sinken; der Schalk in seinen Augen verflog. „Nein, beileibe nicht. Ich verabscheue Spiele. Zugegeben, amüsiert habe ich mich. Es war etwas anderes, etwas Neues, eine Art psychosexuelles Turnier. Ungewöhnlich und deshalb aufregend. Und gespielt haben wir beide! Doch was soll’s, ich war noch nie darauf aus, auf Kosten anderer meinen Spaß zu haben, egal, womit. Wenn Sie sich getroffen fühlen, tut es mir ausdrücklich Leid.”
    Er sprach die Wahrheit, und dagegen kam sie nicht an. „Wie alt sind Sie, Reid?”
    „Vierundvierzig. Und Sie?”
    „Vierzig. Wollen Sie mir etwa weismachen, Sie in Ihrem Alter hätten nie diesen Spielchen gefrönt? Noch dazu ein Mann mit Ihrem Aussehen?”
    „Mein
Aussehen
!” sagte er angewidert. „Ich hasse dieses oberflächliche Geschwätz! Wie kommen Sie darauf, ich wäre anders als Sie? Hier drin …”, er tippte sich mit dem linken Zeigefinger an die Schläfe, „bin ich genauso wie Sie. Ich stehe nicht da und bewundere meine Fassade, und Sie auch nicht! Und deshalb betrachten Sie es schon als Manipulation, wenn man Ihnen Komplimente macht. Denn Sie gehen offensichtlich davon aus, da interessiere sich jemand über Gebühr für Sie und für einen Aspekt, den Sie selbst an Ihrer Persönlichkeit für nahezu unbedeutend halten.”
    „Bitte keine Psychoanalyse!”
    „Ich kann es eben nicht lassen, Rowena! Doch wie gesagt, tut mir Leid.” Er lächelte, doch nicht mehr so strahlend wie zuvor.
    „Ich muss mich auch entschuldigen”, sagte sie. Es war ehrlich gemeint, und erneut wünschte sie, das Leben wäre wie ein Traum, einfach und direkt, ohne Vorwürfe und notwendige Erklärungen. Allerdings verhielten die Menschen sich nicht einfach, und direkt eher selten. Zu oft sagten und taten sie etwas aus Gründen, die anderen unerfindlich blieben, getrieben von Dingen, deren Ursprünge sich einem nur durch jahrelange Forschung erschlossen. Und etwas zu den Anfängen zurückzuverfolgen, das gehörte zum täglichen Brot eines Psychoanalytikers wie Reid, einer dieser Archäologen der Seele, die mit feinem Pinsel den Staub der Jahrzehnte behutsam beiseite wischten und darunter nach Fragmenten der Wahrheit suchten. „Es tut mir Leid”, wiederholte sie. „Ich hatte am Freitagabend einen höchst unangenehmen Zusammenstoß mit einer früheren Freundin und musste ziemlich Prügel einstecken. Daher meine momentane Empfindlichkeit.”
    Er ging sogleich darauf ein. „Prügel? Im konkreten Sinne?”
    „Allerdings. Fairerweise muss man hinzufügen, dass diese Frau offensichtlich nicht wusste, was sie tat.”
    „Wie furchtbar! Was ist denn passiert?”
    „Ein Missverständnis. Das Ende einer langen Freundschaft.” Rowena war nicht gewillt, näher darauf einzugehen, und zuckte mit den Achseln.
    „Und ist alles in Ordnung mit Ihnen?”
    „Ja, bis auf ein paar ordentliche blaue Flecken.” Sie seufzte. Dass das Gespräch diese Wendung genommen hatte, gefiel ihr nicht. „Allmählich muss ich wieder hinein.”
    „Lassen Sie sich doch zum Dinner einladen!” drängte er. „Lassen Sie uns weiterreden! Es ist wichtig!”
    Plötzlich fühlte sie sich erschöpft von den Scheingefechten. „Ich möchte gar nicht, dass Sie mir zu sympathisch werden, Reid. Und Gefühle für Sie möchte ich lieber nicht aufkommen lassen. In Ihrer Gegenwart packt mich das Misstrauen. Ich habe Schwierigkeiten mit dem, was Sie mir erzählen, und glaube Ihnen nicht, da ich Sie eben nicht kenne.”
    „Natürlich tun Sie das. Sie haben ein gutes Gespür für Menschen, das habe ich gleich bei unserem ersten Zusammentreffen gemerkt.”
    Sie war dermaßen überwältigt, dass sie gar nicht mehr wusste, worüber sie geredet hatten. Da ihr Körper nun keine Hitze mehr abgab, fröstelte sie sogar, als sie ihre Zigarette ausdrückte. „Im Augenblick traue ich meinen Gefühlen nicht über den Weg. Und um die Wahrheit zu sagen: Sie machen mir Angst, Reid. Sie bewegen sich so weit jenseits meines begrenzten Erfahrungshorizonts, dass ich mich in Ihrer Gegenwart nicht einmal selbst kenne. Ich werde unsicher, gerate aus dem Lot, sobald Sie mir eine Nachricht hinterlassen oder hier im Lokal auftauchen. Noch nie im Leben habe ich mich zu einem Menschen so hingezogen gefühlt wie zu Ihnen.” Was soll das? Das darfst du nicht zugeben! Das wird er gegen dich verwenden! „Es gefällt mir gar nicht, dieses

Weitere Kostenlose Bücher