Abschied aus deinem Schatten
ihren Gedanken zu verbannen. Vielleicht würde sie sogar ein wenig Entspannung finden.
Als sie im Wohnzimmer die Titel in Claudias umfangreicher Videosammlung überflog, staunte sie angesichts der Anzahl verschiedenster Filme – vom
Zauberer von Oz
bis hin zu
Casablanca
. Sie entschied sich für den
Malteser Falken
und machte es sich mit der Fernbedienung in der Hand auf dem durchgesessenen Sofa gemütlich. Nachdem sie das anfangs unbespielte Band minutenlang vorgespult hatte, flimmerten dann endlich Bilder über den Fernsehschirm. Für einen Moment traute Rowena ihren Augen nicht. Ungewollt entfuhr ihr ein verlegenes Lachen. Was sie sah, war eine kniende nackte Frau beim oralen Sex mit einem nackten Mann. Das Lachen blieb ihr jedoch im Hals stecken, als sie schockiert erkannte, dass es sich bei der Frau um ihre Schwester handelte. Der Mann war ihr nicht bekannt.
Rowena fühlte sich wie eine Voyeurin, als sie wie gebannt auf die Szene starrte und das Ganze zu begreifen suchte. Scheinbar waren sich weder Claudia noch ihr Partner in diesem Moment bewusst, dass sie gefilmt wurden. Der schräg seitliche Aufnahmewinkel ließ den Schluss zu, dass sich die Kamera im Ankleidezimmer der Schlafzimmersuite befunden haben musste. Ob sich dort jemand mit einem Camcorder versteckt gehalten hatte? Wenn ja, wozu? Und wie hatte Claudia so etwas tun können – einem Dritten zu gestatten, Zeuge ihrer Intimitäten zu sein und sie beim Sex zu filmen? Oder hatte sie etwa von der Aufnahme nichts gewusst? Da das Videoband auf ihrem Regal stand,
musste
sie es jedoch gewusst haben!
Das Paar in dem ohne Ton aufgenommenen Streifen war mittlerweile am Bett angekommen. Mit glühend heißem Gesicht und einem merkwürdig erregten Gefühl, das ihr die Brust zusammenschnürte, starrte Rowena auf den Bildschirm. Die Kamera musste zweifellos auf einem Stativ montiert gewesen sein. Und das konnte nur bedeuten, dass Claudia selbst das Band aufgenommen hatte.
„Wieso schaue ich mir das an?” rief Rowena plötzlich laut und beschämt aus, drückte, nachdem sie das Band mit der Fernbedienung gestoppt hatte, auf die Auswurftaste und untersuchte das Video von allen Seiten. Das Etikett stammte von einer echten Fassung des
Malteser Falken
und war auf die Kassette aufgeklebt worden. Rowena nahm sich die restlichen Bänder auf dem Regal vor. Womöglich verbargen sich unter der harmlosen Verpackung noch weitere Exemplare von solch anstößigem Heimkino.
Sie griff nach der Kassette mit dem Label
Easter Parade
und führte sie in das Gerät ein. Auf dem Bildschirm erschien der übliche Hinweis zum Copyright-Schutz, gefolgt vom MGM-Logo und dem Vorspann. Einige Minuten ließ sie das Band im schnellen Bildvorlauf durchspulen, stoppte es dann erleichtert und ließ es zurücklaufen. Es gab nur einen Weg, um herauszufinden, welche Kassetten tatsächlich Spielfilme enthielten und welche selbst aufgenommen waren. Sie musste sie nacheinander überprüfen. Da Rowena es nicht über sich brachte, gute Filme wegzuwerfen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich sämtliche Bänder anzusehen.
Sie nahm sich vor, so viele Kassetten wie möglich durchzusehen, bevor die Bauarbeiter mit den Renovierungsarbeiten anfingen. Danach wollte sie die Bänder bis zum Abschluss der Renovierung im Keller zwischenlagern.
Wahllos zog sie mehrere Kassetten aus den Regalen, setzte sich damit vor dem Videorekorder auf den Fußboden und begann, sich die Bänder ausschnittweise anzusehen. Bis Mitternacht war sie auf keine weiteren pornografischen Streifen gestoßen und legte die bereits getesteten Videos zur Seite. Dann, sie wusste selbst nicht warum, legte sie erneut Claudias Videoband ein.
In der Aufnahme betätigten sich die Schwester und ihr Partner jetzt in höchst akrobatischen Sexualtechniken. Irgendwie schien es aber, als sei Claudia nicht recht bei der Sache, denn sie blickte teilnahmslos zur Decke – eine Gefühlskälte, die Rowena regelrecht faszinierte. In gewisser Weise ließ sich das Band als Beweis dafür werten, dass Claudia als Persönlichkeit nicht gereift war, und es sah aus, als bestätige es Rowenas lang gehegten Verdacht. Ihre Schwester musste unter einer tief greifenden Persönlichkeitsstörung gelitten haben. Gefühle für andere hatte sie stets nur vortäuschen können, denn wichtig und wirklich wahrgenommen hatte sie lediglich die auf sie selbst bezogenen Emotionen.
Rowena konnte sich von den anrüchigen Beweisen für Claudias erotisches Geheimleben nicht
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