Abschied aus deinem Schatten
nachvollziehen, wäre da nicht die Tatsache, dass sie mit deiner Schwester anders umgegangen ist.”
„Allerdings. Das lag jedoch daran, dass Claudia ihr ähnlicher war und die gleichen Interessen verfolgte – im Gegensatz zu mir. Versucht habe ich es zwar, doch es war nicht meine Welt, mich stundenlang an einem Paar Schuhe oder einer Handtasche zu begeistern. Das langweilte mich zu Tode. Claudia hingegen ging bei solchen Dingen regelrecht auf. Außerdem kam bei meiner Mutter noch ein gewaltiger Schuldkomplex hinzu, den sie mehr als kompensieren musste. Claudia war nämlich sozusagen ein ‚Unfall‘, da sie nicht geplant war.”
„Das leuchtet mir ein.” Mark nippte an seinem Weinglas. „Nicht, dass ich vom Thema ablenken möchte – aber was glaubst du denn, wie lange du diese Doppelbelastung mit zwei Jobs noch unter einen Hut bekommst? Diese Woche wars so, als müsste ich mit der Sybil Fawlty zusammenarbeiten, weißt du, mit der Hotelchefin aus der Serie ‚Fawlty Towers‘“.
Rowena lachte so herzhaft, dass ihr die Tränen kamen.
„Wirklich”, beharrte er. „Wie lange noch? Oder denkst du etwa, du kannst bis in alle Ewigkeit so weitermachen?”
„Keine Ahnung. Jedes Mal, wenn ich das Lokal betrete, frage ich mich automatisch, ob ich nicht so tue, als wäre ich Claudia – allein bei dem Gedanken bekomme ich schon eine Gänsehaut. Ich muss richtiggehend innehalten und mir ganz bewusst sagen: Nein, ich bin ich, und ich tue nur etwas, was mir großen Spaß macht. Es fiele mir allerdings leichter, ich selbst zu sein, wenn Claudia nicht meine Schwester gewesen wäre.”
„Kann ich mir vorstellen.”
„Wenn du wüsstest!” Sie stand nah davor, ihm die Sache mit den Videos zu beichten.
„Jedenfalls lässt sich nicht übersehen, dass du lieber hier arbeiten würdest als in der Bibliothek.”
„Das kann gut sein”, gestand sie. Es klang, als müsse sie sich dafür entschuldigen.
„Jetzt hör sich das einer an!” Mark schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Nun mach aber mal einen Punkt! Du tust gerade so, als hättest du deine Großmutter verprügelt! Was ist denn daran so verwerflich, wenn man sich beruflich verändern möchte? Gar nichts, basta! Dieser Laden hier ist um einiges aufregender und interessanter als deine Bücherstube! Warum solltest du dich also nicht für das Restaurant entscheiden? Ich würde nicht lange fackeln! Allerdings würde ich umgehend die Musikkassetten mit Grappelli und Feinstein abschaffen!”
„Darf ich daraus entnehmen, dass dir die Musik nicht gefällt?”
„Schätzchen, die lockt doch keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor! Gerade mal einen Deut besser als das Gedudel im Lift!”
„Dann sollte ich Terry vielleicht mal darauf ansprechen.”
„Wer soll das sein? Der Barkeeper?”
„Genau.”
„Sieht wirklich umwerfend aus, der Junge.” Mark lehnte sich ein wenig zur Seite und musterte den Barkeeper. „Überhaupt hast du hier eine interessante Truppe. Fiel mir schon bei der Beerdigung auf. Die halten zusammen. Gute Leute!”
„Ian ließ durchblicken, dass sie sich verbündet haben. Eine Notgemeinschaft zum Schutz gegen Claudia.”
„Na, dieser Notgemeinschaft wäre ich auf der Stelle beigetreten. Mit dir als Vorgesetzte scheinen sie aber recht zufrieden zu sein, was? Wenn du reinkommst, lächeln sie alle gleich. Das sieht man sofort.”
„Tatsächlich?”
„Wie könnte es auch anders sein? Dich muss man doch ins Herz schließen, du liebe kleine Enchilada! Geht gar nicht anders.”
Rowena zuckte die Achseln und widmete sich angelegentlich dem Rest ihres Hühnchens.
„Ich gebe dir noch vier Wochen, sechs, wenn’s hochkommt!” fuhr er fort. „Dann gibst du den großen Ausstand in der Bibliothek. Wenn ich dann nicht inzwischen ganz in deiner Nähe wohnte, würde ich glatt rührselig werden. Übrigens, falls du den Salat nicht magst – ich nehme ihn gern. Die Vinaigrette ist eine Wucht!”
Zum Kaffee setzte sich Ian zu ihnen. Er plauderte zwanglos mit Mark, während Rowena sich entschuldigte, um mit Terry über die Musikauswahl zu reden. Jetzt, nach Marks Hinweis, musste sie tatsächlich zugeben, dass Terry sehr attraktiv wirkte: dunkles, lockiges Haar, kantiges Gesicht, tiefe, dunkelbraune Augen und ein breiter Mund, der nur allzu gern lächelte.
„Ich könnte ein paar von meinen eigenen Mitschnitten mitbringen”, schlug er eifrig vor. „Das würde haargenau passen. Cooljazz, ist zwar sanft, aber trotzdem
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