Abschied aus deinem Schatten
und zustimmend nickten. „Deine gekochten Eier, Tante Rowena, Mann, erste Sahne. Steh ich unheimlich drauf!”
„Das sieht man!” Rowena lachte, als Kip sich ein halbes Ei in den Mund schob. Er war ein hoch aufgeschossener Sechzehnjähriger mit goldblondem Haar und blauen Augen, ein Prachtexemplar jugendlicher Männlichkeit mit einem Wesen, das seinem perfekten Äußeren entsprach – offen, aufrecht und großzügig, auch wenn er sich dieser Attribute selbst nicht bewusst war. Er betrachtete sich als Glückspilz, auf den die jungen Damen flogen, und war beileibe kein Kostverächter. Anders als seine Altersgenossen, die sich mit einer Hingabe an ihre festen Freundinnen klammerten, als ginge es um ihr Leben, ging Kip unbeschwert mit immer anderen Mädchen aus und zog alle, die in seiner Nähe waren, in seinen Bann. Er fühlte sich auf Anhieb in jeder Art von Gesellschaft wohl, unabhängig vom Alter, und war bemüht, sich der Freundschaft, die man ihm entgegenbrachte, auch würdig zu erweisen. Selbst wenn er ihr leibliches Kind gewesen wäre, hätte Rowena ihn nicht stärker ins Herz schließen können, und wenn sie nicht gewusst hätte, dass es Penny nicht recht war, dann hätte sie den Jungen noch weit großzügiger mit Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken bedacht, als das ohnehin schon jedes Jahr der Fall gewesen war. Dass Penny etwas dagegen hatte, kam ihr jetzt ohnehin ziemlich grundlos vor. Allmählich musste sie sich fragen, ob sie der Freundin durch die ständige Rücksichtnahme auf deren Empfindlichkeiten nicht schon zu oft nachgegeben hatte – in gewisser Weise sogar zum eigenen Nachteil.
Ein Blick zeigte ihr, dass Penny von der anderen Seite der Wohnung her ihren Sohn mit Leichenbittermiene musterte, als sei sie beleidigt, dass der Junge sich die Freiheit nahm, bei Mark und Rowena statt bei seiner Mutter zu sitzen. In der Hoffnung, die Freundin besänftigen zu können, winkte Rowena ihr zu und bedeutete ihr, sich zu ihnen zu gesellen. Penny schenkte ihr indes nur eine breites, aufgesetztes Strahlen und schüttelte abwehrend den Kopf.
„Na, dann eben nicht”, murmelte Rowena verhalten und aß weiter. Sie war nicht gewillt, sich von Penny die Laune verderben zu lassen.
Bevor sie aufbrachen, wollten alle Helfer gern einmal das Haus sehen, und Rowena veranstaltete eine Führung. Jeder steuerte ein Lob oder eine Anerkennung bei, nur Penny nicht. Sie schwieg sich aus, und Rowena wunderte sich, dass sie angesichts ihres offensichtlichen Desinteresses überhaupt mitgekommen war.
Doch beim Abschied kam Penny auf sie zu und umarmte sie auf eine übertriebene und irgendwie melodramatische Weise, ungefähr so, wie sie es auch bei Claudias Beerdigung getan hatte. „Das Haus”, verkündete sie feierlich, „ist großartig geworden. Ich hoffe, du wirst hier glücklich.” Mit diesen Worten machte sie kehrt, rief ihrem Sohn zu, sich zu beeilen, da sie fahren wolle, und marschierte mit energischen Schritten zu ihrem Wagen.
Kip zog die blonden Brauen zusammen, zuckte die Achseln, umarmte Rowena, dann Mark, reichte ihm die noch halb volle Bierdose und stieg ins Auto. Dann ließ er die Seitenscheibe herunter und sagte: „Man wird doch sicher mal zum Dinner eingeladen, was? Okay?” Er plapperte noch weiter, während seine Mutter schon den Wagen anrollen ließ, und Rowena und Mark konnten noch sehen, wie er böse zu ihr herumfuhr, um ihr etwas zu sagen. Penny jedoch starrte regungslos nach vorn.
„Komisch”, sagte Rowena nachdenklich zu Mark, als alle fort waren. „Penny hat mich kaum einer Silbe gewürdigt und tat gerade so, als laste ein Fluch auf dem Haus.”
„War nicht zu übersehen”, erwiderte Mark spöttisch, während er Pappteller einsammelte und sie in einen Müllsack warf. „Der Blick zum Abschied glich doch zu sehr dem der bösen Königin, als sie Schneewittchen den vergifteten Apfel reicht. Deine liebe Freundin kostet die Rolle der beleidigten Leberwurst bis zur Neige aus. Allmählich geht sie sogar mir damit auf die Nerven, deshalb kann ich mir denken, wie’s um die deinen bestellt ist. Aber sag mal, dieser Kip, der schießt ja vielleicht in die Höhe! Jede Wette, der ist in einem halben Jahr an die zwölf Zentimeter gewachsen! Wenn das so weitergeht, erreicht der bestimmt noch die zwei Meter! Und hast du gesehen, wie er beim Essen zugelangt hat?”
„Hast du gesehen, wie viel Penny gegessen hat?” konterte sie.
„Allerdings.” Mark verdrehte die Augen. „Wenn sie wüsste, wie’s
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