Abschied aus deinem Schatten
Unsinn!”
„Red du lieber keinen Unsinn!” konterte er, als Rowena das Garagentor aufschloss. „Und sei mal ein bisschen lockerer! Möglich ist alles.”
Erst Ian mit seinen unvorhersehbaren Stimmungsschwankungen, dann Penny mit ihrem unmöglichen Benehmen und nun Claudias früherer Psychiater mit einer Einladung zum Lunch – irgendwie war wohl alles aus dem Lot geraten. Rowena betätigte den elektrischen Toröffner, und plötzlich wünschte sie sich nur noch eins, wie früher so oft als Kind: in Ruhe gelassen zu werden.
9. KAPITEL
G egen Ende Mai wurde Rowena von Ian ins Büro gebeten. Er regte an, die unbenutzte Fläche hinter dem Gebäude in eine Restaurantterrasse umzubauen.
„Ich habe schon seit geraumer Zeit vor, den Platz da draußen besser zu nutzen”, erklärte er. „Claudia war aber nicht dafür zu begeistern. Wahrscheinlich wissen Sie selbst, wie hartnäckig sie sich Neuerungen widersetzte.”
„Ja”, bekräftigte Rowena und war einigermaßen überrascht darüber, wie sehr Ian mit dieser Feststellung Recht hatte. Claudia war allem Neuen möglichst aus dem Weg gegangen. Darin lag wohl auch der Grund dafür, dass sie nie von daheim ausgezogen war und keine Modernisierungen am Haus vorgenommen hatte.
„Mit minimalem finanziellen Aufwand”, fuhr er fort, „ließe sich einiges bewerkstelligen. Darf ich Ihnen meine Vorstellungen einmal vortragen?”
„Bitte sehr. Ich bin gespannt.”
Ermutigt stellte er ihr sein Konzept vor. „Zunächst würden natürlich Kosten anfallen – Gartentische und -stühle, Topfpflanzen und dergleichen für die Atmosphäre. Außerdem benötigen wir eine Einfriedung. Ein niedriger Stakkettenzaun würde wohl am wenigsten stören und es uns zudem ermöglichen, mittels einer Pforte einen Durchgang zur Gasse zu schaffen. Verloren geht uns nur eine ziemlich unansehnliche Parkfläche, was jedoch kaum ins Gewicht fällt, da keine fünfzig Meter weiter ein öffentlicher Parkplatz zur Verfügung steht. Ich habe mal einige Zahlen zusammengestellt, aus denen ersichtlich wird, dass sich die Gesamtkosten in vernünftigem Rahmen halten. Wir hätten Platz für je vier Viererund Zweiertische, insgesamt also Kapazitäten für vierundzwanzig Gäste maximal. Im Sommer könnten wir Studenten als Saisonkräfte einstellen – eine Bedienung, einen Hilfskellner und einen zweiten Koch. Also”, schloss er, „ich habe meine Gedanken mal mit unserem Steuerberater durchdiskutiert, und der ist nicht abgeneigt. Natürlich haben Sie das letzte Wort.”
Nach einem raschen Blick auf seine Berechnungen sagte sie: „Vielleicht sollten wir noch eine Markise mit einplanen. Dann fällt uns nicht gleich die gesamte Terrasse aus, falls es mal regnet.”
„Oh ja, sehr gut!” Er strahlte sie an. „Daran hatte ich nicht gedacht.”
„An alles andere hingegen durchaus, wie mir scheint. Ich finde, wir sollten das unverzüglich in Angriff nehmen. Und ich kenne da jemanden, dem die Stelle als Hilfskellner wie gerufen kommt. Ich werde ihn fragen und gebe Ihnen dann Bescheid. Inzwischen können Sie nach einer Bedienung und dem Koch Ausschau halten.”
„Mit Vergnügen! Freut mich sehr, dass Sie meinen Vorschlag annehmen.”
„Es ist eine sehr gute Idee, Ian! Ich müsste doch verrückt sein, wenn ich die ablehnen würde!”
Später am selben Nachmittag sprach sie mit Kip.
„Mann, Tante Rowena, das wäre echt ’ne super Sache! Schon über einen Monat bewerbe ich mich überall, aber Jobs gibt’s zum Verrecken nicht. So langsam kriege ich lange Zähne. Klar will ich den Job bei euch! Wann soll’s denn losgehen?”
„So gegen Ende des Schuljahres, sagen wir, in drei Wochen. Du musst dir eine schwarze Hose und ein weißes Hemd besorgen – und bequeme schwarze Schuhe. Du bist nämlich stundenlang auf den Beinen, Kip. Fliege und Kellnerschürze bekommst du von uns gestellt.”
„Mensch, da bin ich platt! Vielen Dank, wirklich! Ihr kriegt den besten Hilfskellner, den ihr je hattet.”
„Weiß ich.”
„Du bist echt cool drauf, Tante Rowena.”
„Du auch. Machs gut, bis bald.”
Abends, als Rowena um kurz nach sechs am Küchentisch saß, um sich die Kostenaufstellung genauer vorzunehmen, läutete das Telefon. Penny war am Apparat. Ohne Vorwarnung und mit kaum verhüllter Wut in der Stimme fauchte sie gleich los. „Was fällt dir denn ein, einfach meinen Sohn anzurufen?”
Rowena war verblüfft. „Pen, ich habe ihm einen Ferienjob angeboten. Wir eröffnen eine Terrasse und brauchen
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