Abschied nehmen
nicht da. Und sie würde auch nicht herkommen, denn William hatte Marcus darum ersucht, in seinem alten Gemach Unterschlupf finden zu dürfen. Sie hatte allein bleiben wollen und er wollte dies respektieren. So fiel er nun auf das kalte und leere Bett und nach einem letzten betrübten Blick ließ Marcus ihn allein.
Am nächsten Morgen war Marcus früh auf, und da er deshalb bereits die halbe Nacht kein Auge zugetan hatte, suchte er als Erstes direkt seine Tochter auf. In ihrem Gemach traf er sie nicht an, doch nach einer kurzen Suche fand er sie im Vorratskeller.
„Guten Morgen, meine Kleine“, grüßte er milde lächelnd und selbst hier bei diesem spärlichen Licht konnte er genau sehen, dass sie geweint hatte.
„Guten Morgen, Vater“, erwiderte Kate.
„Das war wohl keine schöne Nacht, was?“ Marcus sah sie mitfühlend an, doch Kate wandte sich ab und tat plötzlich so, als sei sie unglaublich beschäftigt.
„Ich möchte nicht darüber sprechen, wenn es dir recht ist“, erwiderte sie angespannt, doch Marcus ließ sich nicht so einfach abschütteln.
Er griff nach ihrem Arm und unter seiner Berührung sank sie förmlich in sich zusammen.
„Ist schon in Ordnung, du musst auch nicht darüber sprechen, aber ich würde dir gerne etwas sagen, wenn du erlaubst“, bat er, und da Kate keine Antwort gab, sondern lediglich regungslos stehen blieb, fuhr er fort. „Kate, ich kann mir wohl kaum vorstellen, wie wütend und verletzt du wegen dem sein musst, was William dir zu erzählen hatte, doch dazu muss ich dir noch etwas sagen. Ich kenne ihn und er wird sicherlich die Schuld für dieses Dilemma auf sich genommen haben, doch ich war daran leider auch nicht ganz unbeteiligt.“
Bei den Worten fuhr Kate zu ihrem Vater herum und blickte ihn ungläubig an.
„Ich will William nicht in Schutz nehmen, glaube mir bitte, aber ich war derjenige, der ihn darum gebeten hatte, zu schweigen. Noch vor eurer Vermählung war er bei mir gewesen und hatte mir mitteilen wollen, dass er dich über sich aufklären wollte, sobald ihr verheiratet wäret. Doch ich habe ihn darum gebeten, es nicht zu tun!“, sprach Marcus mit einem bedauernden Gesichtsausdruck und Kates Augen füllten sich mit Tränen, während sie kopfschüttelnd zu ihm aufsah.
„Ich hatte Angst um dich und habe ihm das Versprechen abgenommen, dass er Stillschweigen bewahrt! Kate, wenn du jemanden dafür verantwortlich machen willst dann mich!“, bat Marcus inständig und sah mit gequälter Miene zu ihr hinunter.
Kate unterbrach den Blickkontakt und sah zu Boden.
„Du musst darauf nicht antworten. Ich wollte dich das nur wissen lassen und hoffe, dass dir dadurch die Entscheidung leichter fällt“, sprach Marcus, und da seine Tochter anscheinend tatsächlich nicht vorhatte, etwas dazu zu sagen, verabschiedete er sich und überließ sie ihren Gedanken.
Doch er täuschte sich, wenn er dachte, dass seine Worte ihren Entschluss erleichtern würden. Die Tatsache, dass William durch ihren Vater davon abgehalten worden war, sofort zu Beginn mit der Wahrheit herauszurücken, milderte zwar seine Schuld, doch sie räumte sie nicht aus. Es sprach für ihn, dass er überhaupt vorgehabt hatte, es ihr zu sagen, doch es war trotzdem schlussendlich seine Entscheidung gewesen, das Versprechen an Marcus abzugeben. Er hätte dies gar nicht erst tun dürfen. Und auch das Gefühl, dass er ihr wie ein Fremder vorkam, hatte ihr Vater mit seinen Worten nicht ausräumen können und dies wog mindestens so schwer wie Williams Lügen, dachte Kate nun entmutigt.
Doch im Augenblick wollte sie gar nicht weiter darüber nachdenken. Das hatte sie gestern vorerst zur Genüge, nun brauchte sie etwas Abstand, um einen klaren Kopf zu bekommen. So schob sie ihre Gedanken so gut es ging beiseite, atmete einmal tief durch und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
19. Kapitel
An den folgenden beiden Tagen taten William und Kate ihr Möglichstes, um einander, so gut es ging, aus dem Weg zu gehen. Sie verbrachten kaum Zeit im großen Saal, mieden die gemeinsamen Mahlzeiten, und wenn einer von ihnen den anderen schon vom Weiten entdeckte, schlug er entweder eine andere Richtung ein oder wartete ab, bis der Weg, den er hatte nehmen wollen, frei wurde.
Ihnen beiden war klar, dass dieses Versteckspiel
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