Abschied von Eden
Linda die ganze Familie ins Armenhaus treiben? Lindas Kleiderschrank war nicht übermäßig vollgestopft gewesen. Und größere Mengen Schmuck hatte man auch nicht gefunden. Es ergab einfach keinen Sinn.
»Wofür hat Linda denn so viel Geld ausgegeben?«
»Genau das hab’ ich Pappy D auch gefragt«, sagte Crandal und trank einen großen Schluck Kaffee. »Diesmal hat Granny für ihn geantwortet. Offenbar hat die Hure von Babylon es für ihren wilden Lebenswandel ausgegeben.«
»Granny hat das nicht genauer erklärt?« fragte Decker.
»Sie müssen sich die Situation vorstellen«, sagte Crandal. »Da war Pappy D, der das meiste redete, wenn man auch nicht viel damit anfangen konnte. Seine unscheinbare Frau – eine alte Schachtel, der die Titten bis an die Knie hängen – stand die ganze Zeit direkt hinter ihm, ließ den Kopf hängen und sagte keinen Ton. Nur ab und zu lebte sie auf, kriegte ein Feuer in die Augen wie ’ne Besessene, und ließ eine biblische Beschimpfung gegen Linda los. Dann zog sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurück.«
»Klingt nicht gerade nach einer sehr ausgewogenen Persönlichkeit.«
»Ich glaub’, das ist sie auch nicht.«
»Meinen Sie, daß sie dem Rückstoß einer Schrotflinte gewachsen wäre?« fragte Decker.
»Ich glaub’, wenn es sein muß, könnte die ’ne Kanone abfeuern. Aber wie bereits gesagt, waren sie offensichtlich vor den Littons da. Wenn dieses dynamische Duo es getan hat, dann müssen die beiden sehr schnell gewesen sein.«
Mord dauert nicht mehr als einen Augenblick, dachte Decker. Aber was hätten sie mit Katie machen sollen? Decker hatte sie erst etwa zehn Stunden später gegen ein Uhr morgens und hundert Meilen von Fall Springs entfernt gefunden.
»Hat irgendwer in Fall Springs was davon gesagt, daß sie ein kleines Kind dabei hatten?«
»Ein kleines Kind?« fragte Crandal.
»Yeah«, sagte Decker. »Pappy und Granny hatten nicht zufällig ein Kind bei sich?«
»Nur ihren geistig behinderten Sohn Earl.«
»Wie hat der sich verhalten?«
»Kauerte in einer Ecke«, sagte Crandal. »Jedes Mal wenn ich ihn ansah, lächelte er mir ängstlich zu. Zitterte wie ein Hund, der gerade ins Haus gepinkelt hat. Alle paar Minuten ging einer von Sue Beths Söhnen zu ihm und streichelte ihm über die Haare.« Crandal verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ist für die wohl so was wie ’n Haustier.«
Decker reagierte nicht.
Crandal zuckte die Achseln. »Der Junge wirkte ziemlich harmlos.«
»Haben Sie überhaupt mit ihm geredet?« fragte Decker.
»Nope«, sagte Crandal. »Pappy wollte mich nicht in seine Nähe lassen. Ist aber auch egal. Wahrscheinlich hätte ich eh nur einzelne Wörter aus ihm rauskriegen können.«
Wie bei Howard Byron, dachte Decker. »Sie haben also keinerlei Hinweise, daß sie was mit der Sache zu tun hatten?«
»Sie scheinen mir verrückt genug zu sein, um ihnen die Schüsse zuzutrauen«, sagte Crandal. »Aber der zeitliche Rahmen haut nicht ganz hin.«
»Haben Sie zufällig Pappy gefragt, ob er eine Schrotflinte besitzt?«
»Hab’ ich«, sagte Crandal. »Steht alles in den Aufzeichnungen. Ja, er hat eine. Eine zwölfkalibrige Browning BPS Pump. Er sagte, er hätte sie natürlich nicht mitgenommen, und soweit er wüßte, müßte sie noch im Haus sein. Als ich ihm sagte, daß das nicht der Fall sei, sagte er, er hätte keine Ahnung, wo sie wär’.«
Eine Browning Pump, dachte Decker. Byrons Aussage stimmte also. Und die Filzpfropfen und Patronenhülsen, die man am Tatort gefunden hatte, stimmten mit diesem Kaliber überein.
»Und wie sieht’s mit ’nem Achtunddreißiger aus?«
»Pappy behauptet, er hätte keinen«, sagte Crandal. »Könnte natürlich lügen.«
»Haben Sie was dagegen, wenn ich noch mal mit ihnen rede, wenn sie zurückkommen?« fragte Decker.
Crandal zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Machen Sie nur.«
Decker öffnete seine Schublade und nahm eine Kopie seiner Aufzeichnungen heraus, die für Crandal bestimmt war. »Sie können mit jedem, den ich befragt habe, noch einmal reden, wenn Sie wollen. Schicken Sie mir nur bitte Ihre Notizen.«
Crandal stand auf, nahm die Aufzeichnungen, steckte sie in seine Aktentasche und richtete seine Krawatte. Er sagte, er sähe zum jetzigen Zeitpunkt keinen Grund, Deckers Arbeit noch einmal zu machen. Er verzichte.
18
Um halb sieben fuhr Decker mit dem Plymouth in die Einfahrt und stellte den Motor ab. Sobald er die Tür geöffnet hatte, hörte er ein gleichmäßiges
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