Abschied von Eden
Zeit, um den Tieren Auslauf zu verschaffen und sich abzureagieren. Er nahm die Tiere hart dran, ließ sie auf Kommando galoppieren, springen, stehen bleiben und wieder loslaufen. Dabei zog er stärker an den Zügeln als notwendig. Jedem Tier, das er ritt, brach nach wenigen Minuten der Schweiß aus. Ginger hechelte wie verrückt, doch Decker trieb sie weiter. Als er schließlich fertig war, war sein T-Shirt völlig durchnäßt und seine Haare trieften, als hätte er seinen Kopf in einen Eimer Wasser getaucht.
Sein Zorn war abgeklungen, statt dessen war er nervös, wenn er daran dachte, wie er Rina gegenübertreten sollte. Aber was sollte es! Er hatte ihr ausdrücklich gesagt, sie solle sich von Abel fernhalten. Wie konnte sie nur so dumm sein, ihm nicht zu gehorchen.
Ihm nicht zu gehorchen.
Als ob sie ein Kind wäre.
Manchmal kam ihm das so vor.
Bis er endlich die Pferde gestriegelt hatte, hatte er kaum noch Zeit, sich zu waschen, bevor der Schabbes anfing. Er duschte rasch, wusch sich die Haare und ließ sie von allein trocknen, während er sich rasierte.
Beim Ankleiden fragte er sich, wie er sich Rina gegenüber verhalten sollte. Als er ins Eßzimmer kam, war sie nicht da, aber die Sabbatkerzen waren angezündet. Der Tisch war mit gestärktem Leinen gedeckt, der Wein in eine Kristallkaraffe gefüllt, das Challa lag unter einem Samttuch. In der Mitte des Tisches stand eine Vase mit Wiesenblumen. Aus der Küche strömte der aromatische Duft von frisch gekochtem Fleisch, Kräutern, Knoblauch und Zwiebeln.
Decker spürte, wie sein Kopf anfing zu dröhnen. Er setzte eine Jarmulke auf, ging zurück ins Schlafzimmer, nahm einen Siddur und sagte erst die Abendgebete, dann die Kaballat Schabbat – spezielle Gebete, um den Sabbat willkommen zu heißen. Dazu brauchte er etwa eine Viertelstunde, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als das Buch zu schließen und sich mit Rina zu befassen.
Er schob sich zwei Aspirin in den Mund, dann ging er hinters Haus. Sie betrachtete gerade den Himmel und schützte mit einer Hand ihre Augen. Sie hatte sich umgezogen und trug jetzt ein weißes Kleid, das mit Goldfäden durchsetzt war. Der Stoff fiel so, daß er dezent ihre herrlichen Rundungen andeutete. Ihr Kopf war mit einem weißen Seidentuch mit gelben Fransen bedeckt, die wie goldene Bänder über ihren Rücken fielen. Die Sonne war bereits untergegangen, doch der westliche Horizont erstrahlte immer noch in Rot- und Lilatönen, die Spitzen der hohen Berge schimmerten wie poliertes Messing, und die Berghänge leuchteten in den letzten Strahlen des Tageslichts.
Er rief ihren Namen, und als sie nicht antwortete, ging er zu ihr und umarmte sie von hinten. Zuerst reagierte sie nicht, doch dann schmiegte sie sich in Deckers Arme. Sie standen eine lange Zeit so da, bis die Dämmerung in die Nacht überging, die Berge zu tief purpurfarbenen Umrissen wurden, und der Himmel zu einem tintenschwarzen Ozean, auf dem silbrige Wellen glitzerten.
»Bist du immer noch wütend auf mich?« fragte Decker.
» Schalom bajis«, antwortete Rina mit leiser Stimme.
Wörtlich übersetzt bedeutete das »Frieden im Haus«, aber Decker wußte, sie meinte: »Ich bin immer noch stinksauer, aber ich will den Schabbes nicht verderben.« Nun ja, damit konnte er vorläufig leben. Zumindest redete sie mit ihm. »Komm, laß uns den Kiddusch sprechen«, sagte er.
Am Tisch sprach Decker den Segensspruch über dem Wein, und Rina antwortete an den entsprechenden Stellen mit einem matten Amen. Nachdem sie sich gewaschen und das Brot gebrochen hatten, wollte Rina aufstehen, aber Decker legte eine Hand auf ihren Arm.
»Bleib sitzen«, sagte er. »Ich bedien’ uns.«
Sie nickte.
»Möchtest du es dir vorher von der Seele reden?« fragte Decker.
»Wirst du mir denn zuhören?«
»Yeah, das werd’ ich.«
»Schön, dann erzähl’ ich’s dir.«
»Ja, fang an.«
»Okay.« Rina holte tief Luft. »Es war überhaupt nicht so, wie du gedacht hast. Ich kam gegen drei nach Hause und merkte, daß er hier war. Als erstes hab’ ich dich angerufen. Ich hab’ dreimal in deinem Büro angerufen, Peter. Erkundigst du dich nie, ob jemand eine Nachricht für dich hinterlassen hat?«
»Wenn’s ein Notfall gewesen wär, hätten die mich angepiepst.«
»Es war aber kein Notfall, Peter. Schließlich ist der Typ ja kein Mörder oder so was. Du hast gesagt, ich soll mich von ihm fernhalten. Das hab’ ich getan. Ich hab’ gekocht, geputzt und Staub gewischt. Über mich könnte
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