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Absolute Beginners

Absolute Beginners

Titel: Absolute Beginners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin MacInnes
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tatsächlich, dass ich diesen Edelpuff, in dem er lebt, dafür halte.
    »Du hast sicher schon bemerkt, dass er eingezogen ist«, sagte Dad und zeigte in Richtung des Betts. »Ich hab versucht, es zu verhindern, aber ich hab’s nicht geschafft. Das Zimmer ist aber immer noch deins, darauf hab ich die ganze Zeit bestanden.«
    Ich stellte mir vor, wie der arme Dad meiner Mum gegenüber auf etwas besteht.
    »Warum hat sie ihn überhaupt hier einquartiert?«, fragte ich.
    »Er hat sich ständig mit den Mietern gestritten«, sagte Dad. »Mit einem besonders, mit dem versteht er sich überhaupt nicht.«
    Ich wollte ihn nicht fragen, mit welchem oder warum. Also fragte ich meinen armen alten Ahnen: »Und wie geht’s mit dem Buch voran?« Womit ich auf Die Geschichte von Pimlico anspielte, von der es heißt, dass Dad sie verfasst, auch wenn niemand das Buch je gesehen hat, aber es liefert ihm einen Vorwand, das Haus zu verlassen und mit Leuten zu plaudern und öffentliche Bibliotheken aufzusuchen und Bücher zu lesen.
    »Ich bin bei Kapitel dreiundzwanzig«, sagte er.
    »In welche Zeit bringt uns das?«, fragte ich ihn und erriet die Antwort schon.
    »Anfang der 1930er«, erwiderte er.
    Ich nahm einen Schluck Tee. »Ich wette, Dad«, sagte ich, »du gibst deinen armen alten 1930ern ganz schön einen mit.«
    Ich fühlte wie Dad vor Empörung bebte. »Das tue ich auf jeden Fall, mein Sohn«, schrie er im Flüsterton. »Du hast einfach keine Ahnung, wie es in der Vorkriegszeit war. Armut, Arbeitslosigkeit, Faschismus und Desaster und, das Schlimmste von allem, keine Chancen, keine Möglichkeiten, kein Sonnenlicht am Ende des Korridors, bloß eine Menge harter, verängstigter, reicher alter Männer, die auf einem Haufen Mülleimerdeckeln sitzen und zu verhindern versuchen, dass der Dreck überquillt!«
    Das verstand ich alles nicht ganz, versuchte mich aber zu konzentrieren.
    »Es war eine schreckliche Zeit für die Jugend«, fuhr er fort und packte mich. »Niemand hörte einem zu, wenn man unter dreißig war, niemand gab einem Geld, egal, was man dafür getan hätte, niemand ließ einen leben, wie ihr Kids das heutzutage könnt. Ich konnte ja nicht einmal heiraten, ehe die 1940er kamen und der Krieg mir so etwas wie Sicherheit verschaffte … Aber denk nur, was ich verloren habe! Wenn ich zehn Jahre früher geheiratet hätte, als ich jung war, dann lägen zwischen dir und mir nur zwanzig Jahre statt dreißig, und jetzt bin ich schon ein alter Mann.«
    Ich erwog, ihn darauf hinzuweisen, dass es, wenn er so viel früher geheiratet hätte, vielleicht eine andere Frau gewesen wäre als meine Mum, und in diesem Fall hätte ich gar nicht existiert, oder jedenfalls nicht in meiner jetzigen speziellen Form – aber ich beließ es dabei. »Dumme Sache«, sagte ich stattdessen zu ihm und hoffte, dass ich von dem Thema für heute erlöst war. Aber nein, er legte wieder los.
    »Schau dich einfach um, wenn du das nächste Mal rausgehst!«, rief er. »Schau dir einfach eins dieser Häuser aus den 1930ern an! Was sie heute hochziehen, mag ultramodern sein, und jedenfalls ist es voller Licht und Leben und Luft. Aber diese Häuser aus den 1930ern sind alle beklemmend und negativ, die riechen förmlich nach Mietsherr und Makler.«
    »Nur eine Minute, Dad«, sagte ich, »solange ich diese paar Negative aufhänge.«
    »Glaub mir, mein Sohn, in den 1930ern hassten die Leute das Leben, ganz ehrlich. Jetzt ist es besser, sogar mit der Bombe.«
    Ich wusch meine Hände unter dem Heißwasser-Hahn, aus dem es wie üblich nur kalt kam. »Da übertreibst du ein bisschen, Dad, oder nicht?«, sagte ich.
    Dad senkte seine Stimme noch tiefer. »Und dann war da noch etwas«, sagte er, »– die Geschlechtskrankheiten.«
    »Ja?«, sagte ich, auch wenn mir das ziemlich peinlich war, denn so ein Thema bespricht niemand gerne mit einem Dad wie meinem.
    »Ja«, fuhr er fort, »– die Geschlechtskrankheiten. Sie waren eine Geißel – ein Pesthauch, der über allen jungen Männern hing. Das warf einen großen Schatten über die Liebe und machte sie hassenswert.«
    »So war das?«, fragte ich. »Gab es keine Ärzte damals?«
    »Ärzte!«, rief er. »Seinerzeit waren die schlimmsten Fälle praktisch unheilbar, oder erst nach Jahren und Jahren voller Sorge und Zweifel …«
    Ich ließ von meiner Arbeit ab. »Im Ernst?«, sagte ich. »So war das damals? Das ist ja ein Ding!«
    »Ja. Keine modernen Arzneien und schnelle Heilung wie heute …«
    Das nahm mich ziemlich

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