Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolute Beginners

Absolute Beginners

Titel: Absolute Beginners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin MacInnes
Vom Netzwerk:
meinen älteren Halbbruder Vernon nämlich, der wahre Mann in ihrem Leben gewesen war, nicht mein armer alter Ahne. Na ja, das ist ihre kleine weibliche Psychologie: man lernt von seiner Mum auf jeden Fall eine Menge über Frauen.
    Sie ließen mich eine ganze Weile warten, und hätte ich nicht dringend in meine Dunkelkammer gemusst, hätten sie mich nicht wiedergesehen, aber dann tauchte Dad auf, und er bot wieder diesen Anblick eines total Verlorenen, nicht nur im Gesicht, er hing an seinem ganzen armen alten gammeligen Körper; und das treibt mich in den Wahnsinn, denn eigentlich hat er eine Menge Charakter, und auch wenn sein Verstand nicht der Rede wert ist, hat er doch viel gelesen, genauso wie ich – ich meine, er hat versucht, das Beste aus dem zu machen, was er hatte, in gleicher Weise, wie es meine Mum überhaupt nicht versucht, ja nicht mal daran gedacht hat, es zu versuchen. Wie üblich öffnete er die Tür ohne ein Wort außer »Huhu« und stieg wieder die Treppe zu seinem Zimmer im Dachgeschoss des Hauses hoch, was aber bloß Show ist, weil er natürlich weiß, dass ich ihm auf einen kleinen Schwatz folgen werde, wenn auch nur aus Höflichkeit und um ihm zu zeigen, dass ich sein Sohn bin.
    Aber heute tat ich das nicht, teils, weil ich seine Darbietung plötzlich leid war und teils, weil ich augenblicklich sehr viel in meiner Dunkelkammer zu tun hatte. Ich ging also nach hinten, und, glaubt man’s, ich musste feststellen, dass sich der schreckliche alte Knallkopf Vernon dort ein Kuckucksnest gebaut hatte; ganz was Neues.
    »Hallo Jules«, sagte ich zu ihm. »Und wie geht’s meinem Lieblingsgroßmaul?«
    »Nenn mich nicht Jules«, sagte er. »Das hab ich dir schon mal gesagt.«
    Das hat er allerdings – vielleicht zweihunderttausend Mal oder so, seitdem ich mir diesen Namen für ihn ausgedacht habe, wegen Vernon = Verne = Jules von In achtzig Tagen um die Welt .
    »Und was treibst du in meiner Dunkelkammer, Julie?«, fragte ich den Dämlack von meinem Bruder.
    Er war von dem Feldbett in der Ecke aufgestanden – nur Decken, kein Bezug, wie er so ist, mein Vernon –, kam zu mir rüber und gab eine Vorstellung, die er, solange ich mich erinnern kann, mit ermüdender Regelmäßigkeit liefert: dann baut er sich ganz dicht vor mir auf und beugt sich über mich, keuchend und nach fauligem Schweiß riechend.
    »Was, schon wieder?«, sagte ich zu ihm. »Nicht noch so eine kitschige King-Kong-Performance!«
    Seine Faust wischte in gekonnter Pantomime an meiner Schnute vorbei.
    »Werd erwachsen , Vernon«, sagte ich ganz geduldig zu ihm. »Du bist jetzt ein großer Junge, über ein Vierteljahrhundert alt.«
    Folgendes konnte jetzt passieren: Er würde mir entweder eine langen, und in diesem Fall gäbe es natürlich ein Massaker, aber er wusste, dass ich zumindest einen Treffer landen würde, der ihn echt fertigmachen und vielleicht sogar fürs Leben zeichnen würde – oder er würde plötzlich beschließen, dass die ganze Sache unter seiner Würde sei, und mit mir reden wollen, im Grunde einfach mit irgendwem reden, egal, weil der arme alte Affe ein solch jugendgefährdendes Horror-Produkt darstellte, dass er richtig einsam war.
    Also zupfte er mit seinen riesengroßen Gurkenfingern an meinem arschkurzen italienischen Sakko und sagte: »Wofür trägst’n das Ding?«
    »Entschuldige, Vernon«, sagte ich und schob mich an ihm vorbei, um meine Kamera auf dem Tisch abzulegen. »Ich trage es«, sagte ich, nahm mein Sakko ab und hängte es auf, »um im Winter nicht zu frieren und im Sommer die jungen Dinger einzufangen, wenn ich mit dem Rockzipfel wedel.«
    »Hunh!«, sagte er, sein Hirn rumorte, aber es kam nichts dabei raus außer diesem Geräusch, das klang, als hätte ein Eisbär gefurzt.
    Er musterte mich von oben bis unten, während seine Sinne halbwegs wieder zueinanderkamen. »Die Klamotten, die du trägst«, sagte er schließlich, »ekeln mich an.«
    Und ich hoffe, das taten sie auch! Ich trug exakt die volle Teenager-Montur, die ihn immer rasend machte – die grauen spitzen Slipper aus Krokodilleder, das Paar neonpinker, knöchelhoher Nylonsocken, meine Cambridge-blaue enganliegende Jeans, ein vertikal-gestreiftes Hemd, aus dem die Kette mit meinem Glücksanhänger herausblitzte, und das italienisch geschnittene, arschkurze Sakko, das ich eben erwähnte … von meinem Juwelen-Armreif gar nicht zu reden und meinem spartanischen Krieger-Haarschnitt, von dem alle glauben, dass er mich 17 Schilling 6 Pence

Weitere Kostenlose Bücher