Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Absolute Beginners

Absolute Beginners

Titel: Absolute Beginners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin MacInnes
Vom Netzwerk:
irgendwoanders, und sie schienen alle enttäuscht zu sein, dass hier und jetzt nichts geschah.
    Tja, die Enttäuschung währte nicht lange. Denn aus dem Metropolitan-Bahnhof – der gute alte London Transport , den wir alle für so sicher und verlässlich halten – kam eine Schar Passagiere, und einer von ihnen war ein Neger. Nur einer. Ein Junge meines Alters, würde ich sagen, der eine Reisetasche trug und ein braunes Päckchen – ein ernst dreinblickendes Kiddie mit Brille und einem dieser eher traurigen, mausfarbenen Anzüge, die manche Neger tragen, vor allem Studenten, um den Engländern zu zeigen, dass wir sie nicht für Barbaren in Grasröcken halten dürfen, die sich Knochen in die Haare stecken, sondern für Zwanzigstes-Jahrhundert-Nummern, genau wie wir. Ich glaube, es war ein Afrikaner: auf jeden Fall gibt es keinen Zweifel, dass das der Ort ist, aus dem alle seine Vorfahren kamen – zu Millionen, Hunderte von Jahren zurück in der Zeit.
    Also, dieses Kiddie muss reichlich dämlich gewesen sein. Denn es durchschaute offenbar nicht, dass irgendwas ungewöhnlich war – vielleicht war es aus Manchester oder so runter nach London gekommen, um Kumpel zu besuchen. Auf jeden Fall ging der Bursche die Straße runter und höflich zur Seite, wenn ihm Leute im Weg waren, und sie alle sahen ihm zu. Alle diese Augen sahen ihm zu, und es wurde immer stiller. Dann rief jemand: »Schnappt ihn!«, und der Neger kapierte es dann doch schnell genug – und er fing an, die Bramley Road runterzurennen wie der Blitz, obwohl er immer noch seine Reisetasche und sein Päckchen umklammerte, und mindestens hundert junge Männer jagten ihm nach, und Hunderte Mädchen und Kinder und Erwachsene liefen ihnen nach, und dazu Motorräder und Autos. Irgendein heidnischer Gott von zu Hause muss in diesem Moment in sein Ohr gekrochen und ihn lauthals zur Vernunft gebracht haben, denn er hechtete in eine Gemüsehandlung und schlug die Tür zu. Und das alte Mädchen da drinnen schloss von innen ab, und sie funkelte die Menge draußen an, und die Menge scharte sich um das Gebäude, und sie schrien – und ich zitiere hier ihre Worte vollkommen genau: »Schnappen wir ihn!« und »Holt ihn raus!« und »Lyncht ihn!«
    Das schrien sie.
    Aber sie kriegten ihn nicht. Was sie kriegten, war stattdessen die alte Gemüsehändlerin, die aus einer anderen Tür kam und auf sie losging. Stell dir das vor! Dieses eine alte Mädchen, die grauen Haare ganz durcheinander und das alte Gesicht vor Zorn gerötet, die stand da umgeben von dieser Meute von Hunderten, und sie machte sie zur Schnecke. Sie sagte, sie seien ein Haufen Feiglinge und Gossenbastarde, alle miteinander, aber sie fingen an, zurückzuschreien, und ich konnte nichts mehr verstehen. Aber sie gab nicht nach, das alte Mädchen, und ihr Ehemann hatte von innen die Gitter hochgezogen, und langsam, langsam trudelte auch das Gesetz ein, diesmal mit ein paar eigenen Transportwagen, und sie drängten durch die Menge und fingen an auszuschwärmen und sammelten den jungen Afrikaner ein und liefen in Gruppen von sechsen durch den Mob hin und her und sagten allen, sie sollten sich verkrümeln – diesmal mit gezückten Knüppeln, zur Abwechslung.
    Danach haute ich ab, um ein bisschen allein zu sein. Ich fuhr aus meiner Gegend zu dem großen, offenen Platz bei Wormwood Scrubs, und ich setzte mich ins Gras, um nachzudenken. Denn was ich da gerade gesehen hatte, machte mich schwach und hoffnungslos: vor allem, weil sich niemand, abgesehen von dieser alten Gemüse-Frau (ich wette, dass sie wie eine Überschallrakete direkt in den Himmel rauschen wird, wenn sie stirbt – die kann keiner aufhalten), absolut niemand gegen diese Sache aufgelehnt hatte. Du sahst dich um, um die Angehörigen der anderen Mannschaft zu suchen – und seien es nur ein paar wenige –, und es gab keine. Ich meine, keine von uns. Die Neger wehrten sich natürlich zur Genüge, weil sie mussten. Aber von uns gab es niemanden.
    Wenn dir so was passiert, bitte glaub mir, dann ist es genau so, als würden sich die Steine aus dem Gehweg lösen und dir um die Ohren fliegen und die Häuser einstürzen und der Himmel in sich zusammenfallen. Ich meine, alles, worauf du dich verlassen hast, all die selbstverständlichen Dinge, alles tut, was du nie erwartet hättest. Dein Gefühl von Sicherheit und das Gefühl, dass es irgendeinen Plan gibt, irgendeine Idee, die hinter allem steckt, irgendwo, verschwinden einfach.
    Ich klopfte mir den Arsch ab

Weitere Kostenlose Bücher