Absturz
Gymnasiast mit großer Gebärde, dann aber nie wieder stellt, sein Leben lang nicht bis zur Verdammung oder Errettung, je nach Bearbeitung.
»… Was diese Welt im Innersten zusammenhält« … und dann geht’s zwei Stunden nur um Frauen und Ficken, ein bisserl Mord, ein bisserl Verjüngungskur und Frankensteinerei, ein bisserl schöne Helena und Philemon und Baucis, Finden unter Linden und so, ein bisserl Expansionspolitik, À-la-carte-Saufen und Trennkost ( www.chefkoch.de ), der Teufel eine Mischung aus Personality-Coach, Psychoanalytiker und nachgiebigem Drogenhändler, Gott bleibt merkwürdig blass und desinteressiert in diesem Drama, und am Schluss mündet das Ding ins absolute Nichts … das diese Welt im Innersten zusammenhält …; Faust sucht in Wirklichkeit nichts weniger als Wissen. Faust sucht Glück. Faust fragt in Wirklichkeit nicht nach dem Sinn. Faust fragt nach der Lust (die viel brutalere Frage!): Die absolute Selbstvergessenheit der Toten – im Leben, mitten im prallen Leben! Goethe, fällt mir ein, reklamiert am Ende seiner Existenz (vierundachtzig Jahre – davon sechzig für den Faust verwendet –, immerhin, nur acht weniger als die zweiundneunzig Jahre der Frau Oberluggauer – davon sechzig für die Volksschule Annabichl verwendet), dass er in seinem ganzen Leben nicht eine Sekunde lang vollkommen glücklich gewesen ist! Dass er wusste, dass wir nichts wissen können, das war im Nachhinein nur halb so schlimm.
Später im Leben, wenn man kein Gymnasiast und kein Student mehr ist, wenn man sich eingerichtet hat und die Welt, wie sie ist, ganz instinktiv verstanden hat, wenn sich die einstigen Fragen samt deren unbefriedigenden Antworten als gegenstandslos erwiesen haben, stellt man die wirklich wichtigen Fragen: Werde ich geliebt? Werde ich begehrt? Werde ich genug geliebt? Genug begehrt? Genug geehrt? Interessiert mich mein Leben noch? Und irgendwann einmal, noch später, hört man auch mit diesen Fragen auf. Die wahrheitsgemäßen Antworten könnten zu deprimierend sein.
Mein Faustfragment wird wohl Fragment bleiben. Ich habe schnell gemerkt, dass mein Faust immer mehr von Don Giovanni, Don Quixote, Cyrano, Hiob, Dorian Gray, Jedermann als von Faust annimmt. Von Bill Gates dagegen hat er gar nichts angenommen. (Der hat noch nicht einmal etwas von Mephisto.)
Demi, Herbsthofer, Frau Oberluggauer, Professor Dolezal! Du liebe Güte, Herr Möller, Ihr Personenregister kommt ja zu gar keinem Ende mehr! Wieder ein Romananfang, nehme ich an? Nach Ihrem Wahlverwandtschaften -Roman, den Sie gleich wieder zurückgezogen haben, auch noch Ihr Faust -Roman? Werden Sie den fertig schreiben?
Der ist längst fertig geschrieben, liebe Marie Großholtz! Seit Jahren. Aber diesen Roman hat mir niemand zurückgeschickt: Den habe ich erst gar nicht versendet. Der soll ein Geheimnis bleiben. Den hebe ich mir auf für schlechte Zeiten oder für den Nachlass. In meinem Faust verjüngt sich nicht Faust, sondern Gretchen, also die alte Margarethe Oberluggauer in die junge Demi. Teufelspakt as usual. Aber ich will hier nichts verraten und nichts erzählen, hier wird nur angedeutet – gerade so viel, dass Sie, liebe Frau Großholtz, einen Überblick bekommen und über mich schreiben, mich porträtieren können; nur so viel deute ich an, dass kein völlig falsches Bild von mir entsteht. Das hier ist ein Roman über Romane, ein aus allen möglichen Fragmenten zusammengefügtes Mosaik oder, wenn Sie es so sagen wollen: ein paar Perlen, ein paar Glasperlen, die Schnur bin ich.
Kommen Sie, Frau Großholtz, ich möchte Ihnen, wenn Sie schon da sind, lieber noch etwas ganz anderes zeigen.
9
D rei Jahre später – es ist ein klirrend kalter Februartag, du hast die Kleine aus dem Kindergarten abgeholt, ihr seid durch das Schneegestöber nach Hause gestapft; jetzt sitzt sie vor dem Fernseher und sieht die Teletubbies an – klingelt es, und ein geheimnisvoller Mann bestellt bei dir – nein, nicht direkt ein Requiem –, aber das würde er gerne bei einer Tasse Kaffee mit dir besprechen: Der junge Herr ist auch nicht vermummt, sondern ein Dirigent, aber eigentlich möchte er Kulturmessias in diesem Land werden. Die Politik habe er hinter sich, einen Teil jedenfalls, und damit könne er auch über ein gewisses Budget verfügen.
Aber es ginge hier nicht um ihn, meinte der junge Dirigent, also gleich zur Sache: Er habe einen Auftrag für mich. Les Sept dernières Paroles de Notre Rédempteur sur la
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