Acacia 02 - Die fernen Lande
ist einzig und allein an Euch, darüber nachzudenken, aber ich wäre nachlässig … wenn ich nicht die Frage Eurer Verlobung zur Sprache bringen würde. Das Thema wird in Alecia offen diskutiert. Wirklich sehr offen. Man hat mir sogar geschrieben und mich gebeten, mit Euch darüber zu sprechen.«
Ja, dachte Corinn, nutzt den alten grauhaarigen Julian für eure schmutzige Sache, da ich im Drängen eines so geehrten alten Mannes doch gewiss nichts Lüsternes finden kann. »Und was sollt Ihr sagen?«, fragte sie, während sie mit den Händen auf der Granitplatte des Tisches ein Zelt formte und in gespieltem Interesse die Stirn in Falten legte.
Julian blinzelte. Einen Augenblick lang sah er so aus, als hätte er es vergessen, doch dann fiel es ihm wieder ein, und er sprach, als hätte er ihr das alles bestimmt schon einmal beschrieben – was er auch getan hatte. »Nun, man will natürlich, dass Ihr heiratet! Sie haben sogar eine Gruppe von Gelehrten beauftragt, die Abstammung aller in Frage kommenden Agnaten zu überprüfen. Das ist eine ziemliche Liste, das kann ich Euch versichern. Falls Ihr interessiert sein solltet, kann ich sie Euch …«
»Ist das eine Liste der echten Agnaten, oder stehen auch die neuen Familien darauf?«, unterbrach ihn Corinn.
»Ob neu oder alt, das macht doch keinen Unterschied«, antwortete Seyden. »Die jüngsten Ernennungen zu Agnaten sind ebenso solide wie die alten. Jetzt sind sie alle gleich, ganz wie es sein soll.«
»Haltet Ihr das für wahr, Jason?«
Ihr ehemaliger Hauslehrer zuckte auf seinem Stuhl zusammen. Abgesehen davon, dass er vorhin einen der Rechenschaftsberichte vorgelesen hatte, hatte er noch kein Wort gesagt, und wahrscheinlich wäre er damit auch zufrieden gewesen. Was auch immer er in den Jahren von Hanishs Herrschaft gesehen hatte, als er sich versteckt gehalten hatte, es hatte ihn gebrochen. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und die weißen Strähnen in seinen Haaren hatten die Oberhand über die braunen gewonnen, obwohl er erst knapp über vierzig war. Manchmal, wenn sie spürte, wie er sie musterte, wenn sie ihn gerade nicht ansah, hatte Corinn das Gefühl, dass er sie mit einem gewissen Maß an besorgtem Erstaunen betrachtete. Vielleicht erinnerte er sich an das oberflächliche Mädchen, das sie einst gewesen war, und erkannte den Menschen, der sie jetzt war, nicht wieder. Diese Vorstellung gefiel ihr recht gut.
Jason antwortete schließlich. »Ich zweifle nicht daran, dass die alten Agnaten sich für alle Zeit daran erinnern werden, dass ihre Geschlechter tatsächlich älter sind, aber im Hinblick auf die Rechtslage hat Senator Seyden recht.« Seine Finger zitterten beim Gestikulieren. »Eure Liste möglicher Freier – solltet Ihr Euch entscheiden, darüber nachzudenken – wird auf diese Weise länger. Das macht es leichter, eine passende Verbindung zu finden, eine, die niemand anfechten würde.«
»Ich verstehe.« Corinn presste die Lippen zusammen, als mache sie sich erneut Gedanken darüber. »Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum ich irgendjemanden heiraten soll. Glaubt einer von Euch, ich wäre nicht in der Lage zu herrschen? Oder wollt Ihr das Anrecht meines Sohnes auf den Thron anfechten? Vielleicht haltet Ihr ihn ja für einen Bastard?«
Ein Durcheinander aus gegenteiligen Beteuerungen. Klagend erhobene Stimmen, so inbrünstig, dass Corinn einen Blick mit Rhrenna wechselte, einen erheiterten Blick, wenngleich andere Augen ihn nicht als solchen erkannt hätten. Die Reaktion der Ratsmitglieder bestätigte, was sie bereits geahnt hatte, deshalb würde sie der Sache nicht weiter nachgehen. Es gab viele Gründe, warum Männer wünschten, dass sie heiratete. Keiner davon war für sie von Vorteil. Doch das Thema Aaden bereitete ihr große Sorgen. Falls sie einen dieser Agnaten heiratete und ihm ein Kind gebar, und wenn ihr Mann sich dann König nannte und seine Standesgenossen bat, sein eigenes Kind über einen Bastard zu erheben, der von einem verhasster Feind gezeugt worden war – nun, das war ein Kampf, den sie nicht ausfechten wollte. Deshalb war es besser, wenn sie keine Kinder mehr bekam. Und es war besser, wenn ihre Herrschaft stark blieb und die Menschen Aaden ins Herz schlossen.
Sobald er siebzehn wurde, konnte sie abdanken und ihn zum König krönen lassen. Danach würde ihn niemand mehr anfechten. Eine regierende Königin hatte immer die Möglichkeit, zugunsten eines erwachsenen Sohnes des Throns zu entsagen.
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