Acacia 02 - Die fernen Lande
nicht, dass mein Volk immer auf der Erde herumlaufen muss wie Bauern. Zumindest nicht alle. Ich glaube, wir werden stärker sein, wenn mehr Menschen sich mit Pferden auskennen. Jason, entwickle auch eine Überlieferung für die Pferde, etwas, das wir dem Volk bieten können. Schmücke aus, was du weißt, und lege es schriftlich nieder. Hast du verstanden?«
Der Lehrer wollte die Hand an die Brust legen, stieß dabei beinahe seinen Becher um und fing ihn gerade noch wieder auf. Geschickt stellte er ihn wieder hin. »Euer Majestät, etwas zu entwickeln …«
»Überlieferungen. Entwickle Legenden. Helden auf Pferderücken und all so etwas. Such ein paar von den alten Geschichten in der Bibliothek heraus. Finde Geschichten, in denen Pferde vorkommen. Und wenn du keine finden kannst, füge Pferde ein. Pflanze die Saat. Füge den Überlieferungen eine weitere Schicht hinzu, und sorge dafür, dass in Schenken und Sälen darüber gesprochen wird, dass man abends den Kindern davon erzählt, solche Sachen. Sorge dafür, dass die Menschen von Pferden träumen.«
Balnievs lächelte schief. »Eine edle Aufgabe, Jason. Widmet Euch ihr mit Begeisterung.«
»Ich bin froh, dass Ihr so denkt«, wandte Corinn sich an ihn. »Für Euch habe ich dabei auch eine Aufgabe.« In der Tat hatten sie dabei für fast jeden eine Aufgabe. Einigen Leuten trug sie auf, Zuchtpferde zu kaufen, gutes Weideland zu finden, Ausbilder anzuheuern, Architekten und Baumeister und Schmiede zu verpflichten. Die Liste der Notwendigkeiten war umfangreich. Corinn sprach ebenso begeistert wie ernsthaft. Rhrenna schrieb alles pflichtschuldig nieder. Die Ratsmitglieder sahen sich an, als hoffe jeder von ihnen, einer der anderen würde das Ganze als Witz bezeichnen. Aber niemand tat es, und am Ende des Treffens ging Baddel hinaus und murmelte dabei vor sich hin: »Ganz wie die Königin wünscht. Die Hengste werden decken. Die Stuten werden fohlen. Und die Menschen werden reiten.«
Und die Ratsmitglieder werden wie die Arbeiter in einem Ameisenbau hin und her rennen, antwortete sie, allerdings nur im Kopf, wo es niemand hören konnte.
Später an diesem Nachmittag hatte sie noch eine Besprechung. Dieses Treffen fand im unteren Flügel ihrer Gemächer statt, auf einem offenen Balkon, der aufs Meer hinausging. Er war nicht sonderlich groß, in den Fels gehauen und vor neugierigen Blicken von oben verborgen. Sie hatte ihn deswegen ausgesucht, weil der Mann, mit dem sie sich treffen wollte, unbemerkt eine äußere Steintreppe emporsteigen konnte. Es war ein Treffen dieser Art. Ein heimliches. Möglicherweise war es sogar gefährlich, aber das glaubte sie nicht.
Delivegu Lemardine, ihr Agent, war auf seine Weise treu; er war den Münzen treu, mit denen sie ihn bezahlte, und dem Wissen, dass seine Dienste ihm ein Leben voller Laster ermöglichen konnten, wie auch immer sie aussehen mochten. Er hatte einst Rialus bei seinen verdeckten Plänen geholfen, und Rialus hatte ihn ihr vorgestellt. Sie traute Delivegu nicht, doch das war nicht ungewöhnlich; sie traute niemandem. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen hatte Delivegu sich mehr als einmal als nützlich erwiesen.
Senivalen waren nicht als Leisetreter bekannt, doch was das anging, unterschied Delivegu sich von seinen Landsleuten. Er hatte das obere Ende der Treppe erreicht und war nur noch ein paar Schritte von Corinn entfernt, bevor sie es merkte. Wie immer war er protzig gekleidet, in ein Hemd mit weitem Kragen und gebauschten Ärmeln, das in engen Hosen steckte, und kniehohe schwarze Lederstiefel, die um die Waden geschnürt waren. Obwohl er am Bauch mit ein paar zusätzlichen Pfunden gepolstert war, hatte niemals ein Mann zufriedener mit seinem Körper gewirkt. Tatsächlich schwelgte er in seiner Größe und in dem, was natürliche Kraft zu sein schien. Sein Gesicht war eine beklemmende Mischung aus kantigen männlichen Zügen und weiblichen Feinheiten, wie etwa die leicht gekräuselten Lippen. Auf seine eigene Weise war er frustrierend reizvoll.
»Euer Majestät«, sagte er und verbeugte sich, »ich bin in allem Euer Diener. In wirklich allem.« Einen Augenblick lang verharrte er in seiner Verbeugung, dann richtete er sich auf. »Ihr seid, wenn ich das sagen darf, ein Bild der …«
»Ich habe keine Zeit für Schmeicheleien«, fauchte sie ihn an und legte die Hand um einen Stein, der auf dem Balkon lag. »Berichte mir, und dann verschwinde.«
Delivegu lächelte. Er lächelte immer. Er schien die Welt
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