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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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überraschender Leichtigkeit auf den Pflastersteinen des Innenhofs auf. Mit einem merkwürdigen Rollen der Schultern, begleitet von einem zuschnappenden Geräusch, zog sie die Flügel ein. Ihre großen, runden Augen blinzelten, als sie die hingekauerten Menschen und die plötzliche Verwirrung, die sie verursacht hatte, betrachtete. Die Kreatur hielt ihre dünnen Vorderarme grazil vor sich, die Krallenspitzen berührten sich, und ihr Blick huschte mit der nervösen Energie eines Kindes umher, das entweder etwas Wunderbares oder etwas Verbotenes getan hat und jetzt darauf wartet, dass man ihm sagt, was es war.
    In dieser Stille sah Corinn die Gestalt auf dem Rücken der Kreatur. Mena. Ihre Schwester hatte die Bestie geritten. Jetzt ließ sie sich hinuntergleiten und landete fröhlich auf den Steinen. Sie grinste von einem Ohr zum anderen, sah ihre ältere Schwester an, und erkundigte sich, als wäre es die natürlichste Frage der Welt: »Hast du meinen Brief bekommen?«

29

    Mena hatte gewusst, dass das Ganze riskant war, doch sie war der Ansicht, sie und Elya könnten es schaffen. Der Nachthimmel würde ihnen Deckung geben. Sie würden Melio und die anderen in Nord-Talay zurücklassen und hoch über Bocoum hinwegfliegen und anschließend tief über das Innenmeer. Sie würden sich Acacia von Osten her nähern und über die Klippen auf der Rückseite des Palasts fliegen. Ihr war klar, dass das Blutmond-Bankett in vollem Gange sein würde und dass keine Bogen erlaubt waren. Die Gäste würden unbewaffnet sein, und es würden auch nicht übermäßig viele Wachen da sein. Sie hatte genug dieser Veranstaltungen hinter sich gebracht, um das zu wissen. Auf jeden Fall würden die Wachen zuerst zu Corinn eilen, um die Königin zu schützen, ehe sie zum Angriff übergingen. Und das, schätzte sie, würde ihr die Zeit für einen Auftritt verschaffen, mit dem sie sich in den offiziellen acacischen Geschichtsbüchern verewigen würde.
    So hatte sie es geplant, und so war es auch gekommen: eine Menge Durcheinander und Geschrei und Waffenschwingen und Entrüstung, ja, aber nichts, was sie nicht erwartet hatte. Warum es ihr allerdings so bedeutsam vorkam, einen solchen Auftritt zu haben, war kompliziert, etwas, das sie gedanklich noch nicht eingeordnet hatte. Eine Antwort, die das Ganze rechtfertigte, hatte sie immerhin, wie sie am nächsten Morgen ihrer Schwester erklärte, als sie zu ihr zitiert wurde.
    »Was sollte das?«, fragte Corinn anstelle einer Begrüßung.
    Wenn sie voneinander getrennt waren, fiel es Mena schwer, sich an Corinn als Kind zu erinnern oder als Schwester von ihr zu denken. Dann gab es in ihren Gedanken nur die ein wenig distanzierte, ein wenig beängstigende Königin. Wenn sie jedoch zusammen waren, gab es Momente, in denen Mena Corinn als die Schwester betrachtete, die sie früher gekannt hatte. Momente, in denen Mena erkannte, dass Corinn die Lippen schürzte, weil sie unsicher war und das Gefühl hatte, ihre Schönheit genüge nicht.
    Mena beschloss, diese offizielle Vorladung nicht so »offiziell« werden zu lassen, wie Corinn es wahrscheinlich wünschte. Mit freundlicher Miene betrat sie den Raum und ließ sich auf den nächsten unbequemen Stuhl fallen. Dort streckte sie sich erst einmal und bemerkte dabei, dass ein Gähnen in ihrer Kehle hauste und freigelassen zu werden wünschte. Corinn betrachtete sie; sie stand mit verschränkten Armen da, und ihr finsterer Gesichtsausdruck kündete von unverhohlenem Ärger.
    »Es freut mich auch, dich wiederzusehen, Schwester«, sagte Mena, nachdem sie endlich mit Gähnen fertig war. »Ich kann es kaum glauben, dass Dariel wirklich zu den Anderen Landen in See gestochen ist. Hast du schon irgendetwas von ihm gehört?«
    »Nein«, sagte Corinn. »Nein, das geht auch gar nicht. Noch nicht. Botenvögel schaffen es nicht über die Grauen Hänge. Wir werden erst von ihm hören, wenn er wieder auf den Außeninseln ankommt. Aber das sind nur ein paar Wochen, wenn alles glatt gegangen ist. Du wirst später davon erfahren. Aber jetzt – was hatte dieser Auftritt letzte Nacht zu bedeuten?«
    »Ich wollte, er wäre hier. Ich habe auf der Jagd oft an ihn gedacht und mich so sehr darauf gefreut, ihn wiederzusehen.« Sie verstummte einen Moment, atmete aus, und wandte sich schließlich Corinns Frage zu, allerdings kaum ernsthafter als zuvor. »Was das zu bedeuten hatte? Das ist eine eigenartige Frage. Doch, wirklich. Ich meine … stell dir mal vor, irgendein Erwachsener

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