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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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zum ersten Mal besucht. Natürlich! Es war im Frühling gewesen, als die Flöße in der langsamen Strömung trieben, die die Küste des Festlands geformt hatte. Er musste sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, damals, bevor die Welt verrückt geworden war. Und er hatte die Flöße nicht zusammen mit seinem Vater betreten, sondern er hatte Thaddeus Cleggs Hand gehalten.
    Unter der Führung seines »Onkels« hatte er voller Ehrfurcht das dümpelnde, mit der Strömung treibende und sich immerfort bewegende Gebilde bestaunt, das die Tausende von Flößen ergaben, wenn sie miteinander verbunden waren. Die Bevölkerung der Flöße war ein erstaunliches, vielsprachiges Gemenge, so bunt und vielseitig wie das ganze Reich. Menschen aus allen Ländern ritten auf den Wellen, bestritten ihren Lebensunterhalt mit Handel. Tiere saßen in Käfigen und liefen frei herum, Waren waren ausgestellt und Speisen kochten und brutzelten, Lagerhäuser bargen große Stapel von Gütern. Fischereien und Muschelsammler, Zisternen zum Sammeln von Regenwasser und ein Netz von Röhren, die es dorthin beförderten, wo es gebraucht wurde – das Ganze war ein gewaltiges, salziges, mit Entenmuscheln bewachsenes Durcheinander.
    Und dann erinnerte er sich, dass Aliver dabei gewesen war. Groß und älter, klug, selbstbewusst und ein bisschen arrogant: alles, was ein Mann sein sollte, wie es schien. Oh, wie winzig sich Dariel im Schatten seines Bruders vorgekommen war. Das war das Gefühl, das ihn überflutete. Und kurz nach dieser Woge von Gefühlen kam die Erinnerung an die kurze Zeit, in der sie als Männer ihre Beziehung auf dem Schlachtfeld von Talay wieder hatten aufleben lassen. Seine Gefühle ließen ihn verstummen.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Skylene.
    Dariel wand sich unruhig. »Ja. Eine Menge. Können wir eine Pause machen?«
    »Wir haben doch gerade erst angefangen …«
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Es ist nur … dadurch, dass ich euch etwas erzählt habe, ist die Erinnerung an etwas anderes zurückgekehrt.«
    »Wir haben die beiden nur eine Stunde«, sagte Skylene und deutete auf die Schreiber. Der eine von ihnen saß mit erhobener Feder da, bereit, jederzeit fortzufahren. Die andere wartete, bis sie an der Reihe sein würde, sollte das Thema sich ändern und eine andere Rolle gebraucht werden. »Dann müssen sie wieder an ihre Arbeit zurück.«
    Dariel wurde klar, dass er die beiden nicht wiedererkannte. Vielleicht waren sie schon einmal hier gewesen. Wahrscheinlich sogar, aber in ihren stummen Rollen hatten sie für ihn keine Persönlichkeit. Vielleicht war das gut so, denn unter diesen Umständen fiel es ihm leichter, zu sagen: »Ich habe dir doch schon davon erzählt, wie mein Bruder gegen Maeander Mein gekämpft hat. Es war sein großer Augenblick. Das glaube ich ganz sicher, obwohl er umgekommen ist. Vielleicht war er auch groß, weil er umgekommen ist. Es ist schwer zu erklären.
    Alle, die ihn kannten, haben sich gewünscht, er hätte die Herausforderung niemals angenommen. Bestimmt hätten die Mein sich nicht an Maeanders Ehrenwort gehalten. In gewisser Hinsicht war es eine Situation, in der er nichts gewinnen konnte. Also – warum dann? Warum alles riskieren – für nichts? So hat es damals für mich ausgesehen, und dann, als Aliver gefallen ist, war es gleichermaßen unglaublich und unausweichlich. In jenem Moment habe ich alles gehasst: Maeander und Hanish, den Krieg, alle Soldaten um uns herum. Sogar Aliver. Ich habe die Tatsache gehasst, dass er versagt und uns im Stich gelassen hatte. Dass er mich im Stich gelassen hatte. Was ich euch letztes Mal nicht erzählt habe, ist das, was ich gleich nach seinem Tod getan habe.«
    Er bemerkte, dass Skylene der zweiten Schreiberin zunickte, und erkannte anhand des veränderten Rhythmus, mit dem ihre Feder über das Pergament kratzte, dass seine Worte wieder aufgezeichnet wurden. Na schön, dachte er. Sollen sie auch das schriftlich haben.
    »Maeander hat meinen Bruder mit einem Messer getötet, nach den Regeln, auf die die beiden sich geeinigt hatten. Ich habe – genau wie Aliver – geschworen, mich an die Regeln zu halten und das Ergebnis anzuerkennen. Als ich gesehen habe, wie Aliver am Boden lag und Maeander einfach weggegangen ist, so zufrieden mit sich selbst, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich habe ihn so sehr gehasst, dass alles andere unwichtig geworden ist. Und gerade laut genug, dass man es in der Stille hören konnte, habe ich gesagt: ›Tötet

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